Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1920 (1920)

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In diesem Wohnraum, Stube ge¬ 
nannt, mären sie geboren worden, -er 
Lipp und der Lenz; in diesen Wohn¬ 
raum hatte man ihnen einst den toten 
Vater gebracht, der von einem abrol¬ 
lenden Fels mar erschlagen worden. 
In diesem Wohnraum hatte sich vor 
etwa zehn Jahren ihre Mutter zum 
Sterben hingelegt. Seitdem hausten 
sie allein. 
Da fegten (sie nun und scheuerten, 
wuschen und flickten, bis alles wieder 
fein säuberlich in Ordnung stand, ge¬ 
nau so, wie es auch zu Lebzeiten ihrer 
Mutter gewesen war. Zu guter Letzt 
unterzogen sie auch noch ihren äuße¬ 
ren Menschen einer gründlichen Reini¬ 
gung. Das machte sie munter und froh, 
daß ihnen hernach das selbstgekochte 
Festmahl, Selchsleisch und Sauerkraut, 
doppelt so gut schmeckte, wie ^wochen¬ 
tags ihre Nocken. Und das will etwas 
heißen. Sobald aber das letzte Bröck- 
lein unter Dach gebracht war, stopften 
sie ihre Pfeifen, setzten sich nebeneinan¬ 
der uns die Bank, im Sommer war es 
die Hausbank, im Winter die Ofen¬ 
bank, und fingen zu nebeln an. Das 
mar, wie wenn an einem Spätherbst¬ 
tage im Gebirge der Nebel einfällt und 
man kein Schrittlein, weder >vor noch 
rückwärts, sieht und am besten tut, sich 
niederzusetzen, wo man eben steht. 
Reden taten sie dabei nicht viel. 
Was hätten sie auch reden sollen? Ihr 
Tagewerk kannten sie in- und aus¬ 
wendig, darüber gab es nichts mehr zu 
reden, und in Gesellschaft kamen sie 
blutwenig, daß sie den einen oder den 
anderen hätten bekritteln können oder 
sich über ihr Schicksal wundern. Gab 
es denn in diesen Bergen ein anderes 
Schicksal, als daß man geboren wurde, 
aufwuchs, arbeitete und endlich ster¬ 
ben mußte? Das erlebte doch einer 
wie der andere gleich. Darüber war 
doch erst recht nichts zu reden, was sich 
so von selbst verstand. Daran, daß 
auch das Leben die Leute zu- und aus- 
eittanderbringen konnte, dachten sie 
nicht. Höchstens daß sie einmal von 
ihren Ersparnissen miteinander rede¬ 
ten, oder, mas schon seltener vorkam, 
von notwendigen Neuanschaffungen. 
So waren sie, gemächlich am Gang¬ 
steig, in die Dreißig gekommen. 
Und nun sollte das auf einmal an¬ 
ders werden; etwas Fremdes, Unge¬ 
ahntes in ihr Leben treten. Das heißt, 
gekommen war es ja nicht plötzlich, 
nein, ganz langsam, unbemerkt. Aber 
es stand dann doch plötzlich zwischen 
ihnen wie eine graue Mauer. 
Das war so ähnlich, wie ein Gewit¬ 
ter aufzieht. Zuerst zuckt es ein wenig 
die Sonne ab, dann wird es schwül und 
immer schwüler. Da und dort schiebt 
sich über den Gipfeln ein Wölkchen vor, 
dann werden es mehr und mehr. Von 
ferne fängt es leise zu grollen an. Und 
auf einmal ist das Wetter da mit fei¬ 
ner ganzen Wucht. 
So kam es. 
An einem Sonntag war der Rauch¬ 
nebel vor der Bank, an der einen 
Seite, wo der Lipp faß, bedeutend dün¬ 
ner als auf der anderen Seite, und ab 
und zu hörte man einen schweren 
Seufzer. Der Lenz schüttelte dazu 
den Kopf und bemühte sich, die Rauch¬ 
schichte durch doppelten Eifer wieder 
aufs Gleiche zu bringen. 
Am nächsten Sonntag fing der Lipp 
zu reden an. 
Von ihrem einsamen Leben und 
ihrem halt gar so kleinen, baufälligen 
Häuserl. Und der Lenz schüttelte wie¬ 
der den Kopf und ließ für eine Weile 
sogar die Pfeife ausgehen. Die Rede 
des Bruders machte ihm Sorge. Nicht 
etwa, daß er nun auch an der Einsam¬ 
keit gelitten oder ihm das Häuserl auf 
einmal zu eng geworden wäre, aber 
es war ihm, als ob da neben ihm 
ein ganz anderer säße, ein Fremder, 
mit dem er nichts zu schaffen hatte. 
„Hm, hm?" 
Und am übernächsten Sonntage re¬ 
dete der Lipp weiter. Er knüpfte ge¬ 
nau dort an, wo er am vorigen Sonn¬ 
tag aufgehört hatte, gar nicht, als hätte 
zwischen Anfang und Fortsetzung eine
	        
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