Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1919 (1919)

gegeben hat; aber ich versichere dich: 
wenn du fleißig lernest, wirst du es 
so weit bringen, wie deine Kollegen.“ 
Der Esel ging nun Tag für Tag 
in die Schule, er schwänzte keine 
Stunde; er war der aufmerksamste 
Zuhörer beim Vortrag und bei den 
Erklärungen des gestrengen Herrn 
Lehrers; und um ja kein Wort zu 
überhören, legte er seine Ohren weit, 
sehr weit auf und über die Bank, so 
daß von dieser selbst bald nichts mehr 
zu sehen war. Seine Mitschüler mach— 
ten-sich über ihn lustig. Die ganze 
Zeit wußten sie nichts Besseres zu 
tun, als den Esel auszulachen und zu 
verspotten. Besonders die Hunde setz— 
ten dem armen Schüler heftig zu. Na— 
türlich ahmten sie vor allem sein 
Eselsgeschrei nach. Dann steckten die 
übermütigen Mitschüler Papier in die 
großen Ohren des Esels. Doch der ließ 
alles ruhig geschehen. Endlich nahm 
alles sein Ende. Der Schulkurs war 
vorüher; die Prüfung stand vor der 
Türe. Schulleiter Löwe, der auf das 
Renommee seiner Schule etwas hielt, 
berief als Examinatoren oddrei wor— 
zügliche Gelehrte Griechenlands. Vor 
diesen mußten sich seine Schüler stel— 
len, da half kein Einwenden. Prüfun— 
gen sind nie beliebt. Unsere Studiosen 
alle hatten Katzenjammer, doch keiner 
mehr als der Esel. Alle seit Jahrhun— 
derten mit Recht oder Unrecht seiner 
Sippe aufgestempelten Vorurteile 
preßten ihm den Schweiß aus allen 
Poren und die täglichen Anrempelun— 
gen seiner Mitschüler hatten ihn voll— 
enos verzagt gemacht. Endlich war 
der Prüfungstag gekommen. Der Esel 
kam zuletzt zur Prüfung. Alle seine 
Mitschüler kamen früher an die Reihe. 
Man kann nicht sagen, daß sie gut be— 
standen. Im vorhergehenden Jahre 
hatten sie glänzender abgeschlossen. 
Im letzten Schuljahr verzettelten sie 
viel zu viel Zeit auf Schikanen gegen, 
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den Mitschüler Esel und vernachlässig⸗ 
ten ihr Pensum bedeutend. Doch dank 
hrem angeborenen Talente kamen sie 
mit Ach und Krach durch. Jetzt kam 
der Esel an die Reihe, geprüft zu wer— 
den. Wie ein zum Tode Verdammter 
wankte er zum Tisch der strengen 
Prüfungskommission hin. Doch, siehe 
da, kaum waren die ersten Vorfragen 
gelöst, gewann der Esel solchen Mut 
und Zuversicht, daß alles, der Löwe— 
lehrer, die Mitschüler; die drei prü— 
fenden Professoren aus Griechenland 
taunten. Bescheiden, aber seiner Sache 
icher, trat der Prüfungskandidat wor. 
Jede Frage, welche an ihn gestellt 
vurde, beantwortete er zur vollen 
Zufriedenheit. Ja, er bat, um mehr, 
als vorgeschrieben war, gefragt zu 
werden, und löste auch diese Fragen 
usgezeichnet. Kein Wunder, daß ihm, 
dem Esel, die Prüfungskommission 
die Note „vorzüglich“ zuerkannte, die 
in der Löwenschule noch kein Schüler 
gewann, und daß ferners eine gol— 
dene Medaille, der Preis der Wissen— 
schaft, um seinen Hals gehängt wurde. 
Zum Schluß trat Schuldirektor Löwe 
auf. Er war ob des glänzenden Prü— 
ungsergebnisses hoch befriedigt. Er 
hielt mit Donnerstimme, die die säu— 
migen Studenten mit Gruseln er— 
füllte, etne kurze Ansprache, worin er 
hervorhob, wie nicht Talente und An— 
lagen, sondern vielmehr Disziplin 
und eiserner Fleiß die Entscheidung 
im Studium brächten, und als Be— 
weis dafür stellte er den Schülern den 
allverachteten Esel hervor. Die Ver— 
sammlung war zu Ende. Direktor 
Löwe konversierte noch mit den drei 
GBriechen. Die Schüler Eichhörnchen, 
Papagei, Fuchs zogen kleinlaut ab; 
am meisten beschämt fühlten sich die 
Hunde: sie liefen mit zwischen den 
Beinen eingestrecktem Schwanze heu⸗ 
lend hinweg. J 
Vuatadαανσασσασäσπααααασσαααůäα 
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