Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1919 (1919)

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der Baumwollindustrie zugrunde ging. 
Die weitere Vergrößerung der Baum— 
wollherrschaft übernahmen die Araber. 
Samt dem Zuckerrohr brachten sie diese 
wertvolle Staude nach Nordafrika, von 
dort im 9. Jahrhundert nach Sizilien 
und im 10. Jahrhundert nach dem süd— 
lichen Spanien. In Andalusien nahm 
sich besonders Kalif Abdurahman II. 
(912961) der Baumwollkultur an. 
Aber neben alter Pflege bestand auch 
weiterhin eine bedeutsame Einfuhr an 
Baumwollstoffen aus Indien, wo diese 
Industrie im Laufe der Jahrhunderte 
sich zur Vollkommenheit entwickelt 
hatte. Man stellte dort durchsichtige 
Baumwollkleider her, die man durch 
einen Ring ziehen konnte. Türkische 
Turbane wurden dort verfertigt, die 
16 Meter Baumwollstoff bargen und 
nur ein knappes Viertelpfund wogen. 
Baumwmollstoff war auch die sog. „ge— 
webte Luft“, die in Gantipuru und 
Datta gespponnen wurde. 
Nur schwer fand die Baumwolle von 
den südlichen Ländern Europas ihren 
Weg in unsere nördlicheren Bretten. 
Gregor von Tours berichtet aus dem 
Jahre 580 von einem Fremdling un— 
bekannten Namens, der einen Baum— 
wollmantel trug, als wie von einem 
Wunder. Noch 807 erregten die Baum— 
wollzelte, die Harun al Raschid an Karl 
den Großen schenkte, daß größte Auf— 
sehen seiner Zeitgenossen. Erst die 
Kreuzfahrer, die die Baumwollstoffe im 
Morgenlande kennen lernten, trugen 
durch Mitbringen schöner Gewebe zur 
Verbreitung der Stoffe im Abend— 
lande beuͤ. Man bezeichnete die Baum— 
wolle zunächst als „Seide“. Im 12. 
Jahrhundert kam der deutsche Name 
„Baumwolle“ auf. In Hartmann von 
der Aues „Erec“ wird ein Sattelkissen 
als „linde sam ein boum-woll“, d. h. 
weich wie Baumwolle bezeichnet. Die 
Einführung dieser Gespinstpflanze 
auch als Spinnfaser steigerte in Eu— 
ropa die Webekunst ganz gewaltig. 
Zwei, oder gar dreifädeg gesponnene 
Stoffe (Zwillich und. Drillich) lernt 
man kennen, sodann den „damasch“ 
Damast), den gemusterten Baumwoll⸗ 
stoff. Damals entstanden in Gent und 
Brügge die ersten von den Christen 
hergestellten Gewebe aus sast reiner 
Baumwolle, die den indischen und 
arabischen Erzeugnissen nur noch ganz 
wenig nachstanden. 
Frankreich übernahm buntbedruckte 
Baumwollgewebe um die Mitte des 
17. Jahrhunderts. Damals — nao 
Mazarins Tode — wurde „Kattun“ 
duͤe große Mode am jungen Hofe des 
Sonnenkönigs. Es herrschte in den 
Jahren 1670 1680 geradezu eine „veri⸗ 
table Kotton-Mode“, so daß die Fabri— 
kanten anderer Stoffe, die mit ihren 
Waren meist sitzen blieben, sich hilfe— 
flehend an Colbert wandten, der ihre 
Bitten erhörte und die Fabrikation 
und den Verkauf gefärbter Tücher ver⸗ 
bot. Die Folge davon war, daß „König 
Baumwolle“ nunmehr sein Reñch auch 
auf England und die Schweiz aus— 
dehnte, wo Baumwollfabriken empor— 
schossen und ihre Fabrikate, trotz aller 
Verbote, nach Frankreich herein— 
schmuggelten; 1759 wurde denn Col— 
berts Verbot auch wieder aufgehoben. 
Unterdessen war aber die Baumwolle 
schon in allen Erdteilen gepflegt wor— 
den. Die kühnen Eroberer, wie die 
Portugiesen in Afrika und die „Kon— 
quistadoren“ in Amerika fanden diese 
Staude bereits überall vor. Allüber— 
all kannte man Baumwollstoffe, von 
Pperu bis Mexiko, auf den Antillen, bei 
den Mayas und Mukatan, bei den 
Chibrhas in Kolumbien, bei den Ket— 
schuas des alten Peru usw. König 
Baumwolle war in der Tat zu einem 
Weltbeherrscher geworden. 
Die schwere Kriegszeit und beson— 
ders die einschneidende Vervpͤngerung 
der Einfuhr von Baumwolle und deren 
A 
brachte unsere vergessene deutsche 
Brennessel wieder zu Ehren. Man be— 
gann die Hebung der Nesselkultur und 
eine rationelle Nesselfaserverarbeitung 
wurde eingeleitet; auch in Oesterreich 
ist eine theoretische Propaganda in die— 
ser Richtung noch knapp vor dem Krie— 
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