Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1919 (1919)

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rodot weiß in seinem vierten Buche 
zu erzählen, daß von skythischen Stäm⸗ 
men die Sage ging, sie würden alljähr— 
lich einmal zu Wölfen. Der griechische 
Schriftsteller Pausanias weiß davon, 
daß ein Fechter Damaris zehn Jahre 
Wolf gewesen sei; Virgil streift den 
Glauben in seinen Eklogen, und Pli— 
tius beschäftigt sich damit in seiner 
Naturgeschichte; dieser zweifelt aber die 
Tatsache stark an und verspottet sie so— 
gar. Man begegnet ferner Sagen von 
Werwölfen bei den Slawen, Finnen, 
Komanen und unter diesen besonders 
bei den Franzosen (loup⸗garon), im 
skandinavischen Norden sowie in Eng— 
land und Schottland. 
In Deutschland findet sich der Aber— 
glaube heutzutage weniger im Süden, 
mehr aber im Norden und Osten, so— 
wie in Böhmen und der Steiermark 
und dazu noch in Gegenden, in denen 
seit 200 Jahren keine Wölfe mehr vor— 
ommen. Nach der noch in Thüringen 
perbreiteten Meinung verwandeln sich 
Menschen, sowohl Männer und 
Frauen, selbst Knaben, zeitweise, meist 
nur für einige Stunden in Wölfe, in— 
dem sie sich einen Wolfsriemen, der 
aus Wolfsleder oder aus Menschen— 
haut, besonders der Haut eines Ge— 
zenkten, gemacht ist, um den bloßen 
Leib schnallen; nach dem in Ostpreußen 
gehegten Glauben muß es das neunte 
Riemenloch sein. Wenn sie wieder die 
menschliche Gestalt annehmen wollen, 
zffnen sie die Schnalle. 
In dem im Jahre 1717 verhandel— 
ten Werwolf-Prozeß sah der Gerichts— 
hof den Beweis als geführt an, daß 
ich die fünf Angeklagten durch Ein— 
schmieren mit einer schwarzen Salbe 
zu Werwölfen gemacht hatten. Daß sich 
zer Werwolf-Glaube besonders an die 
Zeit der Zwölften knüpfte, hängt da— 
mit zusammen, daß sich früher beson— 
ders zu jenem Zeitpunkt des Winters 
die Wölfe zu Rudeln zusammenschar— 
ten, um gemeinschaftlich größere Tiere 
anzufallen oder die Ortschaften zu be— 
suchen, wo sie in die Ställe einfielen 
and selbst die Menschen bedrohten. 
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Nicht umsonst führt daher auch der De— 
zember im Mittelhochdeutschen den 
Namen „wolfsmanet“ J 
Früher wagte niemand während 
der Zwölften den Namen des Wolfs 
zu nennen aus Furcht, daß er auf den 
Ruf erscheinen möge. Der Verfasser 
eines im 17. Jahrhundert unter dem 
merkwürdigen Titel „Gestriegelte 
Rocken-Philosophie“ erschienenen Wer— 
kes J. C. Schmidt berichtet von der 
Furcht der Schäfer, die glaubten, ihre 
herden seien durch Werwölfe gefähr— 
det, und es bedürfe nur eines Wortes, 
nur der Nennung ihres Namens, um 
sie zu rufen. Darum dürfe man denn 
auch in den Zwölfnächten nicht „Wolf“ 
sagen, sondern müsse das Tier mit 
„allerhand Nahmen, als Ungezieffer, 
Feind, Rähes und dergleichen“ bezeich— 
nen. Er fährt dann fort: „Wie sichs 
denn einsmahls begeben, daß ein 
Schäffer, zu seinem Pfarr gekommen, 
ein Kind taufen zu lassen; weil aber 
der Pfarr mit Nahmen Wolffgang oder 
Wolff geheißen hat, hat der Schäffer 
seinen Antrag auf folgende Manier 
verrichtet: Guten Tag, Herr Unge— 
zieffer! verzeihet mir, daß ich euch jetzt 
in Zwölff Nächten so heiße, denn ich 
darf den Teuffel ietzt nicht recht nen— 
nen, wenn ich nicht will in Sorgen ste— 
hen, daß das Raben-Aß mir unter die 
Schaafe geräth..“ V 
Noch heute soll in Ostpreußen dieser 
Aberglaube durch Bettler ausgebeutet 
werden, die sich für Werwölfe ausge— 
ben und durch die erweckte Furcht reich— 
liche Gaben bekommen. Sicherlich lie— 
gen dem Glauben an Werwölfe viele 
ebenso mythische Elemente zugrunde, 
denn der Wolf ist Wotans Tier und 
zugleich Sinnbild des Todes, des 
Schreckens und der Nacht. Verwand— 
sungen der Götter in Tiere sind in der 
deutschen Mythe häufig, und in der alt— 
nordischen Völsungasage kommt bereits 
der Werwolf vor. Dort ist auch von 
einem Wolfshemde die Rede, durch das 
man sich in einen Wolf verwandeln 
kann. 
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