Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1915 (1915)

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„Mein Fräulein, Ihre Eröffnungen 
werfen auf Sie als auch auf den Ge¬ 
fangenen einen wohltuenden Schein. 
Wie schade, daß sie die Flucht ergriffen, 
vielleicht hätten Sie die verhängnis¬ 
volle Flinte nicht vergessen!" setzte er 
etwas ironisch hinzu. 
„Ich büßte schwer genug für diese 
Feigheit!" erwiderte Meta mit düste¬ 
rem Ernst, „o, Herr Richter, geben Sie 
mir einen Trost mit!" 
„Trost zu geben steht nicht in mei¬ 
ner Macht, mein Fräulein, doch ver¬ 
spreche ich Ihnen, alles aufzubieten, 
um Licht in dieses Dunkel zu bringen." 
„Könnte ich ihn nur einmal sehen 
und sprechen", rief Meta, im tiefsten 
Schmerze die Hände ringend, „o, ver¬ 
gönnen Sie ihm und mir dieses Glück, 
Herr Richter!" 
„Wie, sie wollten zu dem Gefange¬ 
nen, mein Fräulein?" 
„Er ist mein Verlobter!" versetzte 
das junge Mädchen einfach. 
„Er ist der Mörder Ihres Vaters!" 
„Nein, o nein, — und wenn er es 
wirklich wäre, mir könnte er es nicht 
verheimlichen. O, erfüllen Sie mir 
diese Bitte. Herr Richter, Sie verletzen 
damit keine Pflicht." 
Der Richter besann sich eine Weile, 
die schönen Augen der jungen Dame 
blickten ihn so flehend, so trauervoll an. 
„Nun gut", sprach er entschlossen, 
„ich selber begleite Sie heute abends 
ins Gefängnis. Doch geben Sie mir 
Ihre Hand darauf, mit dem Gefange¬ 
nen keinen Fluchtversuch zu verabre¬ 
den oder ihm verbotene Dinge als 
Messer und sonstige Werkzeuge zuzu¬ 
stecken." 
„Ich schwöre es Ihnen bei der 
Seele meines Vaters!" sprach Meta 
feierlich. 
„Gut denn, stellen Sie sich heute 
abends Punkt sechs Uhr bei mir ein." 
Meta dankte ihm herzlich und ging 
mit dieser stillen Hoffnung fort. Sie 
wollte noch nach dem Grabe des Va¬ 
ters und von da hinaus nach dem 
Forsthause, doch hatte sie ihre Kräfte 
Werschätzt und mußte sich glücklich 
preisen, ihr Vaterhaus erreicht zu ha- u 
ben, das sie mit dem Gefühle einer! n 
Fremden betrat, da sie es schon nicht ! li 
mehr als ihr eigenes betrachtete. jc 
VI. A 
Der Richter hatte Wort gehalten dl 
und sie zur bestimmten Stunde nach U 
dem Gefangenhanse geführt, wo der ti 
Kerker des Geliebten ihr auf fünf Mi- , e> 
nuten geöffnet werden sollte. ! w 
„Ich lasse Sie allein mit dem Gefan- ! 
genen, mein Fräulein!" sprach er ernst, h 
„und ich werde Sie hier erwarten, — d< 
mehr als fünf Minuten darf ich Ihnen dt 
nicht zugestehen. Ich baue auf Ihr U 
Wort." 
Meta drückte dem wackeren Manne ; 
dankend die Hand und trat in den en-! 
gen unheimlichen Raum, der all' ihr m 
Glück und Leid umfaßte. Der Auf- ^ 
seher setzte die Laterne auf den Boden I L 
und ließ die Tür, nachdem er sich ent- > » 
fernt, hinter ihr ins Schloß fallen. gi 
Von einem niedrigen Lager erhob Z 
sich eine Gestalt. jg 
„Wer besucht mich hier?" tönte eine 
wohlbekannte Stimme. j , 
„Karl, — mein Karl!" 
,/Gott im Himmel, 'ist das ein schö- 
ner Traum oder Wirklichkeit?" j 
Meta stürzte an seine Brust und 
weinte laut. j isl 
„Du bist zu dem Unglücklichen ge¬ 
kommen", flüsterte er, ihre Stirn und 
Hand küssend, „Du glaubst an ihn, nun 
mögen sie mich hinschleppen aufs 
Schaffst, wenn sie durchaus ein Opfer Li 
haben müssen, — ich sterbe freudig, da de 
deine Liebe mir folgt." m 
Meta hob sich hastig empor und 
blickte ihm fest in die Augen. ur 
„Ja, ich glaube an dich, Karl!" AI 
sprach sie leise, „nie kam ein Zweifel rä 
an deine Unschuld in meine Seele, wl 
Wie könnte der Mörder das Kind sei- Hi 
nes Opfers in Liebe umfangen, wie es zu 
wagen, demselben offen und frei ins vo 
Auge zu blicken." ge 
„Habe Dank, Geliebte!" rief Karl, 
sie fest umschlingend. „Ja, ich bin un- Hc 
schuldig an dem Tode deines Vaters! re
	        
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