Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1915 (1915)

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Die Schatzsucher 
Die im vorigen Jahre bekannt ge¬ 
wordene „Beraubung der Omar- 
moschee" in Jerusalem, die die ganze 
orientalische Welt in Flammen setzte 
und am Horizont die Gefahr einer blu¬ 
tigen Fremdenverfolgung im Heiligen 
Lande auftauchen ließ, erfährt jetzt eine 
authentische Darstellung durch den im 
„Wide World Magazine" veröffent¬ 
lichten Bericht eines einflußreichen 
Bewohners von Jerusalem, der aus 
politischen Gründen seinen Namen 
verschweigt. 
Der Anlaß und die Anregung für 
die große Schatzsuche in der Heiligen 
Stadt ging von den Forschungen eines 
finnischen Gelehrten, Dr. Walter, H. 
Juvelius, aus. Bei seinen talmudi- 
schen Studien stieß Juvelius in der 
sogenannten Mischna auf seltsame, 
scheinbar nnzusammenhängende Sätze, 
deren geheime Bedeutung nicht zu er¬ 
raten war und die offenbar in einer 
bestimmtenChrfsreschrift niedergeschrie¬ 
ben worden waren. Nach zwölfjähri¬ 
gen rastlosen Studien gelang es dem 
Forscher, die Chiffre zu entdecken. Der 
entscheidende Text steht in dem Buche 
des Propheten Ezechiel, das stets in der 
hebräischen Religionsphilosophie eine 
besondere Stellung eingenommen hat, 
ja Teile des sogenannten Buches Mer- 
cavah gelten als so heilig, daß junge 
Männer die Symbole nicht lesen dür¬ 
fen. Die chiffrierten Stellen erstreck 
ten sich über mehrere Kapitel und ilu¬ 
den ihre Bestätigung auch in der Chr ' 
nika, den Büchern der Könige und 
dem Buche Daniel. Dr. Juvelius 
wollte durch seine Entdeckung genaue 
Angaben erlangt haben über die Tem¬ 
pelschätze, die insgeheim in den unter¬ 
irdischen Gängen des Berges Moriah 
verborgen seien. Der Gelehrte berei¬ 
tete eine Veröffentlichung seines Fun¬ 
des vor, die der Universität Helsing- 
fors zugedacht war, als ein geschäfts¬ 
kluger Freund anregte, lieber erst zu 
graben und dann zu veröffentlichen. 
von Jerusalem. 
Das Manuskript wurde einem sehr be¬ 
kannten Pariser Bankier vorgelegt, 
das für die Arbeiten notwendige um¬ 
fangreiche Kapital war bald beschafft 
und der englische Kapitän Parker, ein 
Bruder des Earl von Morley, über¬ 
nahm die Ausführung des Planes. 
Das wichtigste war naturgemäß 
die Beschaffung einer Einwilligung 
der türkischen Regierung. Man schätzt 
den Wert der verschollenen jüdischen 
Tempelschätze und den vergrabenen 
Reichtum der Judenkönige auf 800 
Millionen Kronen, und die Möglich¬ 
keit, solche Schätze zu erlangen, ver¬ 
anlaßte die türkische Regierung, ihr 
Einverständnis zu erteilen. Am 
26. November 1908 kam in Konstanti- 
nopel ein regelrechter Vertrag zu¬ 
stande, der von Kiamil Pascha, den. 
Großwesier, und Zia Pascha, dem Fi¬ 
nanzminister, unterzeichnet wurde. 
Und dieser Vertrag wurde ein Jahr 
später von dem neuen Großwesier 
Hilmi Pascha und dem neuen Finanz¬ 
minister Dyavi Bei erneuert. Nach 
dem Vertrage sollten zwei Regierungs¬ 
kommissäre den Arbeiten beiwohnen, 
alles staatliche Gelände wurde den 
Schatzsuchern unentgeltlich zur Verfü¬ 
gung gestellt,' die Beute sollte zwischen 
der türkischen Regierung und dem die 
Grabungen organisierenden Syndikat 
geteilt werden. Das Ziel des Unter¬ 
nehmens war die Auffindung der ver¬ 
schollenen heiligen Geräte aus den nach¬ 
einander von Salomo, Serubabel und 
Herodes auf dem Berg Moriah gebau¬ 
ten Tempeln,' außerdem galt es, die 
Gräber Davids und der Könige von 
Judäa aufzufinden. Diese Gräber 
mußten reiche Beute verheißen, pfleg¬ 
ten doch die Könige alle ihre Schätze 
mit ins Grab zu nehmen. 
Im Sommer 1909 traf die Expedi¬ 
tion in Jerusalem ein, als Kommissäre 
der türkischen Regierung fungierten 
zwei hervorragende Mitglieder des 
türkischen Parlaments, Abdul Asis 
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