Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1915 (1915)

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Uní) das Edelweiß, das ihr die 
Engel gebracht, das ist ein Menschen¬ 
herz, das die Mutterliebe wieder ge¬ 
sunden, als es der Mutter spottete, 
oenn Ma r i a i st d i e h im m l i s ch e 
Edelweiß-Königin, die Mut¬ 
ter der Menschen herzen. — 
Gegen sechs Uhr abends war der 
Senne heimgekommen. 
„Bin froh, daß ich da bin, heut' 
kommt ein festes Wetter." 
Der Bub nickte zustimmend und 
erzählte von dem Besuche, der in der 
Sennhütte erschienen. 
„Er ist hinauf zum Kogel. Ich hab 
es ihm gesagt, er solls nicht tun und 
heute schon gar nicht, am hohen 
Frauentag. Da hat er gelacht und zu¬ 
letzt gab er mir einen Schlag. —" 
„Wie hat er ausgeschaut? Ein jun¬ 
ger Bursch in die zwanzig, schwarzen 
Bart und schwarze Augen." 
„Der ist's. So war er." 
„Gott straf ihn nicht. Der ist's. Ge¬ 
stern hat er gefrevelt beim Wirt, daß 
der Wirt gesagt hat, so einen Men¬ 
schen hat er noch nie gesehen!" 
Der Sennerlois war ein Braver. 
Er war heut' zur Beicht Hinabgegan¬ 
gen und zum Tisch des Herrn. 
„Toni, treib das Vieh heim, aber 
schnell. Es geht schon der Wetterwind. 
Ich komm gleich." 
Der Bub tat, was ihm geheißen war. 
Dann kam der Lois selbst, nannte 
die Namen der Herde, mit der er ver¬ 
traut war, und die Lämmer und Zie¬ 
gen sprangen ihm zu. 
„Schau, wie der Wind ins Ge¬ 
strüpp fahrt. Und der Kogel. Den Spitz 
sieht man nimmer, er steht in den Wol¬ 
ken. Und da ist er oben?" 
„Da oben. Er kommt nimmer zu¬ 
rück, wenn nicht à Wunder geschieht." 
„Soll ich ihm nachgehen? Was nützt 
es? Es ist umsonst. In ein paar 
Augenblick sieht man vor Nebel nichts 
mehr. Aber er — und die Todsünde 
am Herzen. Herrgott, du mußt ihm 
helfen. Und du, liebe Frau ..." 
Das Vieh war eingetrieben. Um 
die Sennhütte sauste der Wind, daß 
die Fugen krachten. Das Vieh war 
unruhig, als es den Donner hörte. Die 
Lämmer steckten die Köpfe zusammen 
und zitterten. 
„Komm, Toni, wir wollen beten. 
Hol die Wetterkerze, die du von Ab- 
sam heim hast, zünden wir sie an, daß 
kern Unglück geschieht." 
Der Bub holte die Kerze und zün¬ 
dete sie an. Sie flackerte unheimlich 
im Winde, der durch die Fugen der 
Hütte eindrang. 
Sie begannen zu beten. Das Wet¬ 
tergebet, das Evangelium vom heili¬ 
gen Johannes und noch andere Ge¬ 
bete. 
Draußen rollte der Donner. 
„Gott sei Dank, jetzt regnet es>. Da 
wird's leichter." Schwer fiel der Re¬ 
gen auf die Sennhütte. 
„Lois, wie's wohl dem Bergsteiger 
geht? Bei dem Wetter!" 
„Toni, beten wir für ihn, sonst kön¬ 
nen wir auch nichts tun für ihn. Viel¬ 
leicht hilft ihm die liebe Frau doch 
noch." 
Sie beteten für ihn. 
Das Hochgewitter stürmte über sie 
hin. Da krachte es in einem ungeheue¬ 
ren Schlage, daß die Sennhütte zit¬ 
terte, neben der Sennhütte hatte der 
Blitz in einen Baum eingeschlagen. 
Die Herde fuhr in die Ecke. 
Der Senn bebte: „So ein Wetter 
Hab ich nie erlebt." Der sausende Re¬ 
gen löschte die Flammen, in denen der 
Baum aufloderte. 
„Lois, beten wir nochmals für ihn. 
Vielleicht ist er jetzt im Sterben." 
Sie knieten nieder und beteten. 
Es war in dem Augenblicke, in wel¬ 
chem der Blitz oben am Kogel die 
Tanne zerschmetterte und Franz über 
dem Abgrund schwebte, dem Tode nahe. 
Vielleicht hat das Gebet der beiden 
den Blitz von dem Unglücklichen abge¬ 
lenkt und an seiner Statt den Baum 
am Felsgrat zerschmettert. 
% £ * 
Das Gewitter dauerte bis tief in 
die Nacht hinein. Erst gegen elf Uhr
	        
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