Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1915 (1915)

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sich gegenüber gesehen. Er befand sich 
also über dem furchtbaren Abgrunde, 
ein Opfer des Todes. 
Seine Kräfte wurden matter und 
matter. Er wollte sich anlehnen, er 
durfte nicht. Er suchte, die Füße aus¬ 
zustrecken, er konnte nicht. So lag er 
lebendig in seinem Sarge zwischen 
Himmel und Erde. 
Da fühlt er -etwas in seiner Hand, 
woran er bisher vor Angst und 
Schmerz nicht gedacht: Das Edelweiß. 
Vertrauen faltet er seine Hände und 
betet: 
„Himmelmutter, dies Edelweiß soll 
dein fein und mein Herz; ich will wie¬ 
der dein gläubiges Kind werden, wenn 
du mir nur hilfst. Himmelmutter, ich 
Litte dich, hilf mir!" 
Dann weint er wie ein Kind. Seine 
Tränen sind Tränen der Reue: Die 
Gnade hatte sein Herz getroffen, er 
war gläubig. Krampfhaft hält die 
Hand das Edelweiß der Himmelmut- 
Drr neue Dgpst Lrnedikt XV. 
Er begann zu zittern: Das Edel¬ 
weiß! So hat der Hüterbub doch recht 
gehabt, ich soll nicht heraufgehen. 
Den trifft das Ungewitter, der 
heute der Himmelsmutter ein Edel¬ 
weiß stiehlt! 
Wie furchtbar waren diese Worte 
an ihm in Erfüllung gegangen! 
Ihn hatte das Ungewitter getrof¬ 
fen, die Strafe der Himmelsmutter! 
Die Strafe der Himmelsmutter? 
Eine Mutter straft nur, um zu bessern, 
nicht um zu vernichten! — Frohe Hoff¬ 
nung zog bei diesem Gedanken ein in 
sein Herz. Auch ihn straft die Him¬ 
melmutter, um ihn zu bessern. Voll 
ter. — Der Regen strömt noch immer, 
die Blitze zucken, der Donner rollt: 
Gleichwohl ist alles anders geworden 
für den Reumütigen. 
III. 
Zum Thron der Himmelmutter 
tragen lichte Engel ein Edelweiß em¬ 
por. Es war gesproßt, dem Himmel 
nahe, am Kogel oben und heute gebro¬ 
chen worden. Die Hand des Frevlers 
hat es am heiligen Tage gebrochen, die 
Hand des Reumütigen hat es der Him¬ 
melmutter geweiht. Die Königin brei¬ 
tet segnend die Hände aus und weiht 
das Edelweiß.
	        
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