Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1915 (1915)

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der Franz aufstieg. Der Sennbub stand 
noch vor der Hütte und sah dem Ueber- 
mütigen nach. Der Schlag, den er 
empfangen, schmerzte ihn. Gleichwohl 
schmerzte ihn, den gläubigen Buben, 
noch mehr die gottlose Sprache des 
Frevlers. 
Inzwischen stieg Franz die schma¬ 
len Steige hinan. Felswand an Fels¬ 
wand trat immer näher auf ihn zu. 
Es war ein beschwerlicher Weg. 
Aber er mußte hinauf. Edelweiß mußte 
er haben. 
Edelweiß! Was der Bub gesagt 
hat? Das sei Sünde, heute Edelweiß 
suchen! Bah! Sünde! 
„Was kümmert das mich?" 
Franz lächelte. Der Himmelmutter! 
Und doch war ihm aus einmal, als ob 
er nicht mehr lächeln könne. 
Ueber die Himmelmutter konnte er 
nicht lächeln. Hatte er nicht als Kind 
so gerne zur Himmelmutter gebetet? 
Wie war dies Wort ihm immer so 
lieb gewesen, gerade dieses Wort! Bis 
man es herausriß aus seiner Seele. 
Sn ging er langsam vorwärts. 
Am Himmel hatten sich über dem 
Bergrücken schwere Wolken zusam¬ 
mengezogen, die sich in flüchtiger 
Schnelle gegen den Kogel vorschoben 
und zusammenzogen. 
Unten im Tale lag Sonnenschein. 
Das Kirchlein war klein wie ein 
Punkt. So hoch stand Franz über dem 
Dorfe. 
Der Weg wurde steiler und schwie¬ 
riger. Aber Franz gab nicht nach: „Zu¬ 
rück darf ich nimmer. Ich muß hinauf 
und gerade heute noch .... Morgen 
geh' ich heim .... Aber gerade heute 
noch will ich hinauf, Edelweiß suchen." 
Bon ferne rollte der Donner. 
Je höher Franz steigt, desto näher 
kommt das Gewitter. Er sucht nach 
einer Höhle, in der er das Gewitter 
abwarten könnte. 
Dort drüben sah er eine Ver¬ 
tiefung, die in den Felsen führte. Der 
Weg führte über Klüfte und Fels¬ 
massen. 
Er irrt vorwärts, der Höhle zu. 
Der Donner rollt heftiger. Die 
Wolken senken sich in unheimlicher 
Schnelle auf ihn nieder. Noch einige 
Minuten, dann ist ihm jeder Ausblick 
genommen. 
Es zucken Blitze. Der Donner rollt 
neben ihm wie eine furchtbare Stimme. 
In fiebernder Hast stürzt Franz 
vorwärts. Dort drüben sieht er schon 
die Höhle nahe. Nur noch zwei oder 
drei Minuten! 
Der Nebel sinkt. Wie eine Riesenlast 
wirst er sich auf sein Opfer. Franz 
flieht. Er achtet nicht mehr, ob er sich 
im Eilen an die spitzen Steine schlägt, 
nur vorwärts. 
Die Donner rollen. Es wird finster 
über ihm. 
Vorwärts, vorwärts! 
Er muß kriechen, sonst stürzt er. 
Nur langsam kommt er vorwärts. 
Da steht vor ihm mit weißem Blü- 
tenstern ein Edelweiß. 
Er reißt es ab und kriecht vor¬ 
wärts. Da gleitet unter ihm der Bo¬ 
den, er fühlt sich vorwärts bewegt, er 
stürzt. 
Vor ihm schwindelt alles. Er gleitet 
abwärts. An Händen und Füßen blu¬ 
tend fühlt er sich von einem alten 
Baumstrunk gehindert, weiter zu sin¬ 
ken. 
Er hält sich mit der ganzen Kraft 
an den Baum, er fühlt sich sicher. 
Ringsum ist es finster. Nur wenn 
ein Blitz die Nacht erhellt, kann das 
Auge etwas unterscheiden. 
Zwischen Leben und Tod schwebend, 
klammert er sich an die letzte Ret¬ 
tungsscholle. 
Der Sturm saust frostig über den 
Kogel. 
In dem Gefels löst er das lockere 
Steinwerk los und bröckelnd stürzt es 
in die Tiefe. 
Es beginnt, Tropfen zu werfen, 
scharf und schwer wie Steinkörner. 
Dann wird der Regen zur strömenden 
Flut. 
Franz zittert an allen Gliedern. 
Fast kann er sich nicht mehr halten. 
Bor Schmerz sind Hände und Füße
	        
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