Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1915 (1915)

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Du sollst den Feierlag heiligen. 
Erzählung von Anton Pichler. 
I. 
Tief drinnen in den Tälern von 
Tirol herrscht noch der alte Glaube 
der Väter. Felsenfest wie die Berge 
hält er Stand, wenn auch die ungläu¬ 
bige Zeit ihn erschüttern will. Weiter 
Heraußen an der Straße, die Tirol 
durchschneidet, oder an größeren Ver¬ 
kehrswegen ist es anders. Langsam 
bröckelt dort die alte Treue ab, die 
kernigen Gestalten verschwinden, die 
Männer mit christlichem Mark und 
Sinn. 
Seit Wochen arbeiten fremde Män¬ 
ner im Bergdorf. Es sind Bahnarbei¬ 
ter. Bis ins innerste Tal hinein 
kommt der Schienenweg. Deshalb die 
Arbeiter im Dorfe. 
Junge Burschen sind's zumeist, die 
das erstemal in die Welt hinausschan- 
ten. Zwei von ihnen finden wir soeben 
miteinander im Gespräche. 
„Max, geh mit mir." 
„Wohin?" 
„Schau, morgen ist Feiertag und 
dann kommt erst noch der Sonntag. 
Ich geh aufs Joch und dann auf den 
Kogel." 
„Franz, dazu bekommst du mich' 
nicht. Wie leicht kann ein Unglück, ge¬ 
schehen." 
„Warum nicht gar! Man muß die 
Sache probieren. Was kann denn da 
viel geschehen? Am ersten Tag steigen 
wir auf, dann bleiben wir in der Senn¬ 
hütte über Nacht und am Sonntag 
sehen wir den Sonnenaufgang." 
„Franz, morgen ist ein Frauen¬ 
tag. Da geh ich nicht. Und dann kommt 
der Sonntag. Unten ist Gottesdienst 
und den kann ich nicht versäumen. Da¬ 
zu habe ich meine Mutter zu gerne." 
„Deine Mutter?" lächelte Franz 
spöttisch. 
„Ich hab' es ihr versprochen, als ich 
fortging: Ich lasse keinen Sonntag 
aus. Da hat sie mich angeschaut und 
gesagt: „Kind, du hast recht. Wer den 
Sonntag hochhält, dem geht es gut."" 
„Geh' hör' mir mit solchen dum¬ 
men Alfanzereien auf!" 
„Franz, red nicht so, das ist Sünde 
und gar schwere Sünde." 
Die Antwort des Verführers war 
nur ein lautes, spöttisches Lachen. 
Max kehrte sich aber nicht daran 
und begann wieder mit ernster, ein¬ 
dringlicher Stimme: 
„Ich bitte dich, Franz, geh nicht 
hinauf auf den Kogel. Du wirst es 
sehen, du hast kein Glück." 
„Wenn du nicht mitgehst, geh ich 
allein." 
Dann gingen sie auseinander. 
„Behüt dich Gott, Franz, ich bete 
schon für dich, daß dich die Himmels- 
mutter nicht straft." 
Ein spottendes Lachen war aber¬ 
mals die Antwort des Frevlers.- 
Um sechs Uhr abends schloß die Ar¬ 
beit. Die Bauern hatten schon seit vier 
Uhr nicht mehr gearbeitet, denn es war 
der Vorabend des hohen Frauentags. 
Um fünf Uhr war Rosenkranz in der 
kleinen Dorfkirche und da kommt von 
den Bergen niedergestiegen, was nur 
gehen kann. So ehrt man Unsere Liebe 
Frau. 
Mit allen Glocken wird der Vor¬ 
abend eingeläutet. Die Glocken jubeln 
hinaus in die Berge und hinauf zu den 
Höhen, ein Preisgesang der Kindes¬ 
liebe für Unsere Liebe Frau. 
Während des Gebetes hört man im 
Dorfkirchlein das Geräusch der Roll¬ 
wagen und das Krachen des niederstür¬ 
zenden Schotters. Draußen an der 
Bahn wird gearbeitet! 
Das Volk nimmt daran Aregernis, 
was nützt es? Es ist nicht Sonntag. 
Wer weiß, ob man nicht selbst den 
Sonntag über arbeiten wird unter 
dem Vorwände: Es muß sein, es ist 
notwendig. 
Wie dann die Leute einer nach dem 
andern herauskommen aus der Kirche,
	        
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