Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1915 (1915)

124 
hat? Niemand außer mir und dem 
Wärter weiß es." Er setzte ab, zögerte 
und sagte dann halblaut zu ihnen: „Er 
hat das gelbe Fieber." 
Der Prediger mußte es doch gehört 
haben. 
„Was, das gelbe Fieber?" rief er 
laut und trat erschrocken mehrere 
Schritte weg. „Und Sie wollten mich 
in das Zimmer lassen, in welchem er 
krank liegt? Meine Frau und Kin¬ 
der hätten Sie in Gefahr gebracht!" 
„Sie wollten ja durchaus den Kran¬ 
ken sehen, obwohl Sie wußten, daß er 
von Ihrer Religion nichts wissen 
wollte", sagte der Doktor kalt. 
„Ja, glauben Sie, ich hätte nur 
einen Schritt in dies Haus gemacht, 
wenn ich geahnt hätte, was seine 
Krankheit ist? — Das ist doch die ganze 
Sache nicht wert, daß ich mein Leben 
und das meiner Familie aufs Spiel 
setze. Auf einen mehr oder weniger 
kommt es ja nicht an, aber sein Geld 
hätten wir so gut für unsere Zwecke 
brauchen können. Doch jetzt kann ich 
nichts mehr machen. Selbst bin ich 
mir der Nächste." 
Der Prediger stürzte mehr, als er 
ging, die Treppe hinunter. 
Einige Augenblicke darnach hörte 
man das Rollen der Wägen, der Platz 
vor dem Hause war leer. Sein Gold 
hatten sie geliebt, ihn selbst aber flo¬ 
hen sie, obwohl er gerade jetzt ihrer 
Liebe am meisten bedürftig gewesen 
wäre. 
Die Mutter wandte sich an den 
Arzt: „Wir wollen nun eilen, daß wir 
zu unserem Sohne kommen. Wir haben 
viel Zeit verloren." 
„Also auf Ihre Gefahr hin, liebe 
Frau!" sagte voranschreitend der Arzt. 
„Ja, Herr! Eine Mutter und ein 
Vater fürchten sich vor dem Todes¬ 
fieber nicht." 
Sie gingen durch den Garten und 
kamen an ein Nebengebäude. Hier in 
diesem niedrigen Raume, den früher 
sein Fuß nie betreten hatte, lag der 
Millionär. Man hatte die Leute nur 
getäuscht, wenn man ihnen sagte, er 
liege im Hause. Der Ansteckung wegen 
war er hieher gebracht worden. 
An der Schwelle sah der Arzt um 
und fragte: „Sie wollen, daß er in 
Ihrem Glauben sterbe? Ich bin auch 
Katholik, doch fürchte ich", fügte er mit 
einem Seufzer hinzu, „daß es zu spät 
ist." — 
„Die Muttergottes verläßt uns 
nicht, Herr!" sagte die alte Frau ein¬ 
fach. 
Sie traten ein. Tiefe Stille umgab 
sie, die drückende Stille des Kranken¬ 
zimmers. Der Boden war mit Tep¬ 
pichen belegt, an der Wand standen 
Gläser und Medizinflaschen. Doch 
von all' dem sahen sie nichts,' ihre 
Augen suchten nur ihn, der dort in der 
Mitte des Zimmers auf heißen Kissen 
lag — den verlorenen Sohn. 
Ruhelos spielten seine dünnen, 
weißen Finger auf der feinen Seiden¬ 
decke, der Atem ging kurz und pfeifend. 
Einsam lag er da, ein Opfer des- 
Todes, verlassen von den Freunden, 
welchen er Glaube und Elternliebe ge¬ 
opfert hatte. 
Ein bezahlter Wärter stand am 
Fußende des Bettes und schaute teil¬ 
nahmslos auf ihn nieder. Die Mutter 
ging an das Bett des sterbenden Man¬ 
nes und nahm den Platz des Kranken¬ 
wärters ein. 
Der Sohn sah seine Mutter an mit 
müden, halbverschleierten Augen, er 
kannte sie nicht. „Paul, mein Kind, 
mein armes Kind!" 
Die ganze Größe der Mutterliebe 
und Muttersorge schien im Tone ihrer 
Stimme zu liegen: er öffnete seine 
Augen. Groß und klar richteten sie sich 
auf die alte Frau. 
„Mutter, liebe Mutter!" 
Er wollte seine Arme ausstrecken, 
kraftlos sanken sie zurück. Die Mutter 
nahm seine zitternden Hände in die 
ihren, und -rückte die Lippen auf seine 
weiße Stirn. 
„Alle haben mich verlassen und 
du —"
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.