Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1915 (1915)

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„Kind, halte den Glauben hoch, und 
betrachte ihn als das beste Gut," sagte 
der Vater, als Paul zum Abschiede 
vor ihnen stand. „Bleibe ihm treu 
und opfere lieber alles, als den Glau¬ 
ben. Er ist mehr wert wie Reichtum 
und Ehre. Wenn es einmal zum Ster¬ 
ben kommt, dann kann dir nicht Gold 
und nicht Ansehen helfen, sondern 
nur ein gutes Gewissen, nur der ka¬ 
tholische Glaube kann deinem Herzen 
Ruhe bringen. Und deinen Eltern 
gräbst du auch das Grab, wenn du dir 
unsern Glauben nehmen läßt." 
Paul versprach zu tun, was der 
Vater von ihm verlangte und zog, 
von Vater- und Muttersegen beglei¬ 
tet, auf die Universität nach San 
Francisko, weil diese für die Rechts¬ 
gelehrten die berühmteste ist. 
Er studierte sehr fleißig. Alles 
wäre recht und gut gewesen, wenn er 
nur nicht immer die Zielscheibe des 
Spottes seiner Mitschüler gewesen 
wäre. Sie verhöhnten ihn um seiner 
Frömmigkeit willen, wegen seiner 
Kirchenbesuche am Sonntag. Das Be¬ 
nehmen seiner Kameraden ärgerte 
ihn und er ging endlich zu einem 
seiner Professoren, um ihn um Ab¬ 
hilfe zu bitten. Ganz aufgeregt trat 
Paul in das Zimmer des Professors 
und klagte diesem seine Not. „Sie 
können es doch unmöglich dulden, 
Herr Professor," schloß er, „daß man 
mich meines Glaubens wegen ver¬ 
spotte." 
Der Mann ließ ihn ruhig aus¬ 
reden und zuckte gleichgültig die Ach¬ 
seln. „Was wollen Sie denn mit 
Ihrer Klage?" fragte er ihn höhnisch. 
„Ich habe selbst keine Achtung vor 
Ihrer religiösen Ueberzeugung. Ich 
muß Ihnen offen gestehen," fuhr er 
in scheinbarem Tone des Wohlwol¬ 
lens fort, „daß ich Sie bedauere, weil 
Sie das Beschränkte und Engherzige 
Ihrer Erziehung nicht abstreifen und 
Ihrem Geiste die Fesseln dieses fin¬ 
stern Glaubens anlegen. Ihre Eltern, 
Ihr Pfarrer mögen ja ganz gute 
Leute sein, aber ihre Anschauungen 
passen in unsere Zeit nicht mehr hin¬ 
ein. Sie sind einfach veraltet. Ein so 
begabter Kopf wie Sie könnte es zu 
etwas bringen,' aber als Katholik sind 
Ihnen die meisten Tore verschlossen. 
Werden Sie Protestant, da wird 
Ihrem Verstände freier Lauf gelassen 
und glauben können Sie doch dabei." 
Paul schied mit schwerem Herzen 
von seinem Lehrer,' nicht nur deshalb, 
weil er keine Hilfe gefunden hatte, 
sondern auch aus dem Grunde, weil 
er nicht den Mut gehabt hatte, seinen 
Glauben zu verteidigen und bei den 
Worten des Lehrers etwas in der 
Seele wach geworden war, was er 
bisher nicht kannte — der Zweifel. 
Als hätte der Mann in den Tiefen 
seiner Seele gelesen, kam es Paul 
vor, denn da drinnen glühte die 
Leidenschaft des Ehrgeizes. Er wollte 
angesehen und reich werden, und die¬ 
ser sein höchster Wunsch sollte ihm 
versagt sein, wenn er treu bliebe dem 
Glauben der Eltern. Es kam ihm jetzt 
schon lächerlich vor, seine Zukunft die¬ 
sem Glauben zu opfern. Er wollte 
noch überlegen und dann — dann 
wollte er den Weg einschlagen, wel¬ 
cher ihm die glänzendsten Aussichten 
verhieß. 
Daheim aber beteten Vater und 
Mutter immer inniger: „Herr, ver¬ 
mehre in uns den Glauben!" 
Immer weniger und weniger hat¬ 
ten Pauls Kameraden Grund, über 
seine Frömmigkeit zu spotten. Er 
hielt sich öfter wie sonst in ihrer Ge¬ 
sellschaft auf und fand bald gute 
Freunde, welche ihn bei ihren Zech¬ 
gelagen frei hielten. Sie unschmeichel- 
ten ihn und wahrsagten ihm eine 
glänzende Stellung in der Welt, 
wenn er die Bahn der freien Wissen¬ 
schaft betrete. 
Den Eltern schrieb Paul nicht 
mehr. Täglich hofften sie ans eine Nach¬ 
richt von ihm, oder daß er selbst komme, 
denn es war die Zeit der Ferien. 
Aber niemand kam und immer stil¬ 
ler wurde es in der kleinen Farm. 
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