Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1914 (1914)

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Letzte Stunden eines Verurteilten. 
Von Robby Jones. 
„Mein Schicksal ist besiegelt," sagte 
er, „und für mich gibt es keine Hoff¬ 
nung mehr, ich muß abschließen mit 
meinem Leben. In wenigen Stunden 
ist alles vorüber, aber glaubet mir, 
meine Freunde, daß ich niemals ge¬ 
glaubt hätte, es könne so weit mit mir 
kommen." 
„Wir haben ja auch nie an deiner 
Unschuld gezweifelt," sagten wir, „und 
du siehst, es verläßt dich keiner von uns 
in dieser schweren Stunde, darum zeige 
dich als ein Mann . . ." 
„£>," unterbrach er uns, „ich fürchte 
mich ja nicht. Ob früher oder später, 
einmal muß man ja doch daran glau¬ 
ben, und auf das „wie" kommt es nicht 
an. Nein, es ist nicht Furcht. Aber ein 
seltsames Gefühl, eine schauernde 
Frage: wie wird es dort sein, in dem 
anderen Leben?" 
Und er fiel in ein dumpfes Brüten. 
Wir taten alles Mögliche, um un¬ 
seren Freund, der so jäh und auf so 
grausame Art uns entrissen werden 
sollte, wieder aufzurichten. Jeden 
Wunsch suchten wir ihm förmlich von 
den Augen abzulesen. 
„Komm," sagten wir, „sieh, wir ha¬ 
ben dir das Beste bereitet, was wir dir 
bieten können," und wir zeigten auf 
die Speisen, die zu ihm hineingebracht 
worden waren und natürlich seine 
Lieblingsspeisen waren. 
Er schauerte zusammen. „Die Hen¬ 
kersmahlzeit," flüsterte er. Dann setzte 
er sich, seine Mut- und Hoffnungslosig¬ 
keit gewaltsam abschüttelnd, zu uns 
und aß. Aß, wie einer, der nicht weiß, 
was er tut. Maschinenmäßig fast. 
Dann schob er die Teller zurück nnd 
holte ein Ding aus der Tasche, ein 
Ding sag' ich euch . . . doch warum soll 
ich's euch nicht sagen: seine Pfeife. 
„Seht, ihr Jungens," sagte er, 
„nichts wird mir so schwer, als der Ab¬ 
schied von dieser meiner Freundin, die 
mir so oft in schweren Stunden eine 
Trösterin gewesen." 
„Meine letzte Pfeife," und es war, 
als zitterten Tränen in seiner Stimme 
nach. „Die letzten Rauchwolken, die ich 
ihr entlocke. — Die letzten." 
Mit feierlicher Wehmut steckte er 
seine Pfeife in Brand, mit feierlicher 
Andacht zog er den Rauch in sich ein 
und stieß die Wolken langsam von sich, 
als könne er sich nur zögernd davon 
trennen. Er wurde bleich und seine 
Lippen zitterten. 
„Die letzte Pfeife!" kam es stöhnend 
aus seiner Brust. Und plötzlich . . . 
wie es kam, ich weiß es nicht . . . aber 
plötzlich entglitt die Pfeife seinen Lip¬ 
pen. Sie fiel und in Scherben lag sie 
auf dem Boden. 
Er starrte auf diese Scherben mit 
einem Blick, den ich nie vergessen 
werde. 
Dann stand er auf. Mit einer Hand 
fuhr er sich glättend über die Stirn 
und durch das wirre Haar. 
„Das ist der Anfang vom Ende," 
flüsterte er und streckte uns seine 
Hände entgegen, die wir erschüttert er¬ 
griffen und drückten . . . 
Am nächsten Morgen trat er den 
schweren Gang an. Er war blaß und 
gefaßt. Der Priester ging ihm zur 
Seite und redete liebevoll auf ihn ein. 
Wir folgten. Noch einen beredten Blick 
warf er uns zu . . . Den Abschied für 
ewig. Dann stieg er die Stufen hinein 
... die Stufen zum Altare und ließ 
sich — mit Miß Meredith trauen.
	        
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