Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1914 (1914)

64 
ders bezahlen — nach dem Bureau 
muß er zum Zahnarzt wegen einer 
wohltuenden Wurzelbehandlung — 
Pfui Teufel! 
Dieses „Pfui Teufel!" das er laut 
ausstößt, weckt ihn aus seinen Grübe¬ 
leien. Wie aus einem Traum fährt 
er auf und starrt auf einen Akt, der, 
von dem Licht der elektrischen Kanzlei- 
lampe überflutet, auf seinem Schreib¬ 
tisch liegt und friedlich schlummernd 
auf eine erlösende Erledigung wartet. 
Sein ärarisches Gewissen erwacht. 
Rasch wirft er einen Blick auf die Ta¬ 
schenuhr. Eins! 
Erschreckt packt er den Akt und 
schlägt ihn auf. Dabei erfaßt ihn eine 
gelinde Wut. Ueber sechs amtliche Be¬ 
suche hat er heute über sich ergehen 
lassen müssen! Und so ein Landbesuch 
ist gar nicht fortzubringen! Der fängt 
bei seinen forstlichen Schmerzen an 
und hört beim eigenen Podagra noch 
nicht auf. Da soll man 'was arbeiten! 
Hol' sie alle freundschaftlichst der 
Teufel! 
Er stiert in den Akt. Daß er eine 
duftige Havanna zwischen den Zähnen 
hat, weiß er vor lauter Pflichteifer 
nicht mehr. 
Eine Stelle streicht er schon an! Na¬ 
türlich, was so ein rekurrierender Ad¬ 
vokat alles weiß! Der Kerl frißt offen¬ 
bar alle 77 Paragraphen des Forst¬ 
gesetzes täglich zum Frühstück! 
Der Gestrenge merkt nicht, daß sich 
die Tür leise geöffnet hat und der 
Forstgehilfe an den Tisch herangetre¬ 
ten ist: sehr diskret, sehr vorsichtig. 
Es scheint, daß er dabei zum Sprung 
bereit ist, zu einer Konzentration stark 
nach rückwärts. 
„Entschuldigen, Herr —" 
„Himmelsakra —" 
„Jawohl, bitte) ein Mann und eine 
Frau sind draußen und möchten —" 
„Hab' ich Ihnen nicht gesagt 
„Jawohl, bitte) Herr Landessorst- 
inspektor wollen arbeiten) aber die 
Zwei wollen nicht fortgeh'n." 
„Wollen nicht? — Aber was wollen 
sonst die Zwei?" 
Der Forstgehilfe antwortet nicht 
gleich. Er hat ein „Pack'l Schwedische" 
aus dem Sack gezogen. 
„Jawohl! Ich bitte: die Zigarre ist 
ausgegangen." 
Er hält das brennende Streichholz, 
bereit.. 
Dem Gestrengen gibt's einen Riß. 
Donnerwetter, jetzt hat er auf die 
prächtige Havanna, die er lutschend 
zwischen den Lippen hält, ganz ver¬ 
gessen. Rasch setzt er sie in Brand. 
„Danke!" Er ist schon merklich ru¬ 
higer. „Aber das sind die letzten für 
heute, merken Sie sich das, und wenn 
's über eine halbe Stunde dauert, ru¬ 
fen Sie mich, wie immer, zum Tele¬ 
phon! — Verstanden?" 
„Jawohl, bitte. — Darf ich die Zwei 
also hereinlassen?" 
Der Gestrenge nickt. Er zieht an 
der Zigarre und lehnt sich im Fauteuil 
zurück. Da nun der feine, blaue Rauch 
sich wieder um seine Nase kräuselt, 
verfliegt sein Unmut gänzlich. Er ist 
nicht mehr zornig) er seufzt nur und 
bedauert sich selbst. 
Langsam öffnet sich die Tür) ein 
kleiner, wohlbeleibter Mann schiebt 
sich hinein. Zögernd kommt eine kleine, 
steckendürre Frau nach. Der Mann 
schreitet vor) die Frau bleibt bei der 
Tür." — 
Da der elektrische Luster abgedreht 
ist, sieht der Gestrenge gerade nicht viel 
von dem Näherkommenden, aber doch 
so viel, daß der Mann etwas armselig 
angezogen ist. 
„Mein Name ist Emmerich Aller¬ 
hand, Herr Lanöesforstinspektor." 
Der Angesprochene weiß genug) im 
Tonfall dieser diskreten, unterwürfi¬ 
gen Stimme liegt ein Glaubensbe¬ 
kenntnis. 
Der Besuch dreht sich etwas gegen 
die Tür. „Komm näher, Flora, daß 
ich dich vorstell dem Herrn Landes¬ 
forstinspektor!" 
Das dürre, kleine Weib kommt nur 
um weniges vor und macht einen Knix. 
Der kleine Jude findet weiteres 
nicht nötig.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.