Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1914 (1914)

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2. 
In der folgenden Nacht — eben er¬ 
tönte wieder der erste Schlag der Mit¬ 
ternachtsstunde — alles hatte sich schon 
lange zur Ruhe begeben und Evchen, 
das matte Köpfchen an den wärmen¬ 
den Busen der sorglichen Mutter ge¬ 
legt, hatte in süßen, kindlichen Träu¬ 
men die kleinen Aermchen um den 
mütterlichen Nacken geschlungen, da 
klopfte es wieder am äußeren Tore, 
wie gestern. Die Kinder fuhren im 
Schlaf zusammen und huschten mit den 
Köpfen unter die Decke. Martin aber, 
wohl ahnend, wer der nächtliche Ruhe¬ 
störer sein möge, hielt es für das Ge¬ 
ratenste, dem Widerlichen gar nicht zu 
öffnen. Life war zwar anderer Mei¬ 
nung und bat ihn, dem Retter ihres 
Kindes Einlaß zu geben. Doch Martin 
rührte sich nicht. 
Es klopfte noch einmal heftiger, 
dringender, Martin zog den Pelz über 
die Ohren und regte sich nicht. Da öff¬ 
nete sich plötzlich die Türe, das Männ¬ 
chen trat ein. Heute trug es eine Pa¬ 
pierlampe, welche mit häßlichen, in 
grellen Gruppen verschlungenen Fi¬ 
guren bemalt, ihren Schein auf das 
Gesicht des Doktors warf; noch tücki¬ 
scher als bei seinem ersten Besuche 
schien sein Mund zu lächeln; noch gräu¬ 
licher blitzten die grünlichen Augen un¬ 
ter den langen struppigen Augenwim¬ 
pern hervor und die große Nase be¬ 
schattete ein in Bosheit und Hinterlist 
verzogenes Gesicht. Martin sprang 
vom Lager auf und mit all der Man¬ 
neskraft, die den in Arbeit und kör¬ 
perlichen Anstrengungen aufgewachse¬ 
nen Bewohnern des Gebirgslandes 
eigen ist, packte er das kleine Männ¬ 
chen und schüttelte es, daß diesem der 
Atem zu vergehen schien, die Augen 
aus den Höhlen traten und das Gesicht 
des Unheimlichen scharlachrot aufge¬ 
trieben wurde — — „Aber, hi hi hi! 
ein schönes Willkommen!" grinste der 
Fremde mit widerlichem Lachen, als 
Martin plötzlich die Kraft verließ und 
seine Arme wie gelähmt herabsanken. 
„Komme ich vielleicht ungelegen?" Da 
ermannte sich Martin und mit krei¬ 
schender Stimme — denn es war ihm,, 
als hätte eine Klammer seinen Hals m 
umfaßt — rief er: „Wer bist du? Was u 
willst du in später Mitternachtsstunöe 
in meiner Hütte?" 
„Wer ich bin? Hi hi hi!" lachte der 
andere gellend, „das wirst du doch an ü 
meinem Doktormantel erkennen?" h' 
Und dabei schlug er seinen Mantel 
auseinander' Martin mußte die Hand 
über die geblendeten Augen legen,' sie fl 
konnten das nicht ertragen, was sie da H 
sahen, und wie betäubt waren seine 
Sinnes doch lächelnd, als ob er solches ui 
gar nicht bemerke, fuhr jener fort: ™ 
„Jetzt geh und verschließe sorgfältig 
die Türe, die ich angelweit offen fand." S 
Martin taumelte hinaus; mühsam ^ 
schleppte er sich über den Hof. Das Tor 
war in der Tat unverschlossen unö 7' 
doch wußte er es gewiß, daß er eigen- 12 
händig den Riegel vorgeschoben hatte ^ 
Betäubt lehnte sich Martin an dü ^ 
Mauer, sah hinauf in des Himmels m 
weiten Raum, als suche er da obe« 
Hilfe und Rettung: — da trippelte 
aber auch schon wieder der Doktor $e 
heran. 
Einen hellen Schein verbreitete das 
Licht, das er trug; dabei ward aber die Er 
Papierlampe immer größer und lic 
größer, sie war beinahe schon so hoch, G: 
wie der Träger selbst geworden, die de 
Figuren darauf hatten Leben bekom- «i 
men und formten bunte Reihen; sie S1 
tanzten, hüpften und sprangen und da- ne 
bei erklang es aus der Ferne wie Mu- tea 
sik von fremden, ganz unbekannten spl 
Instrumenten, die Martins Inneres Ek 
gellend durchschnitt; seine Sinne wur- zu 
den irre durch das, was sie vernahmen, vo 
und fast leblos lehnte er am Flügel erl 
der Mauer. un 
„Heida, lustig!" rief ihm der Doktor 
zu und, ihm nahe gekommen, schlang W> 
er beide Arme um ihn und in wir- des 
belnden Kreisen sich drehend, trollte« an 
die beiden über die Anhöhe hinab und Sä 
immer heller tönte dabei die fremd- bir 
artige Musik in schneidenden Dissonan- nic 
zen und immer zahlreicher wurden dik rnr 
widerlich bunten Gestalten, welche, der Ax 
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