Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1914 (1914)

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in das Haus eintreten. Nun kam die 
Nacht. Müde und steif, mit erstarrten 
Gliedern, vor Frost zähneklappernd 
gingen wir zur Ruhe. In dicke wollene 
Decken hatten wir uns eingehüllt und 
Kohlenfeuer angezündet, doch auch so 
zittern wir vor Kälte und der Schlaf 
will nicht kommen. Draußen heult der 
Wind, ein eisiger Luftzug fegt durch 
die Fenster. Vielleicht ist es auch däs 
Ungewohnte, auf einem Vulkan zu 
schlafen, was unsere Phantasie trotz 
aller Abspannung nicht zur Ruhe kom¬ 
men läßt. Unser Führer hat uns ja so 
schaurige Geschichten von den Tücken 
des Berges erzählt: wie der Boden 
unter den Füßen plötzlich zu wanken 
begann, wie ebenso plötzlich die ge¬ 
quälte Erde sich öffnete und Feuer¬ 
ströme daraus entquollen) wie im 
Uebereifer, der Wissenschaft zu dienen, 
Waltershausen, Silvestri, Gemellaro, 
Ricco und er selbst sich so nahe an 
einen neu entstandenen Kraterschlund 
herangewagt hatten, -aß sie beinahe 
von den Schwefeldämpfen erstickt, von 
den glühenden Bomben erschlagen und 
verbrannt worden wären. Und weiter: 
wie in seinem Heimatorte Nikolosi 
noch 1886 die Leute auf den Knien ge¬ 
legen haben, als der Feuerstrom des 
Monte Gemellaro sich immer näher an 
die Häuser heranwälzte, wie die Räu¬ 
mung des Ortes durch Militär ver¬ 
ordnet ward, und die geängstigten Be¬ 
wohner, jammernd und betend, die 
Heiligenbilder ihrer Kirchen nach den 
Altarelli, einer dem Schutzheiligen 
Nikolosis geweihten Art Kapelle, tru¬ 
gen, die anderthalb Kilometer ober¬ 
halb des Ortes an einer kleinen An¬ 
höhe liegt,' wie schließlich der Strom 
sich dann teilte und 300 Meter von den 
ersten Häusern zum Stillstand ge¬ 
langte. Damals hat der Bischof von 
Catania genau so wie bei dem furcht¬ 
baren Ausbruch des Jahres 1669 da¬ 
selbst den Schleier der heiligen Agatha 
entfaltet und dieser religiösen Hand¬ 
lung schreibt das Volk seine Rettung 
zu. 
Mit solchen Gedanken beschäftigt, 
hatten wir nicht viel Zeit zur Erho¬ 
lung. Denn als die ersten Spuren des « 
Morgens dämmerten — es war gegen 
3 Uhr nachts — kam unser Führer mit 
der Laterne in der Hand, um uns zu 
wecken. „Avanti, Signori," jetzt müssen 
wir den Aschenkegel besteigen, wenn 
wir den Sonnenaufgang auf dem 
Gipfel des Aetna beobachten wollen. 
Es ist kein leichter Entschluß, ohne 
ein Auge zugetan zu haben, das Lager 
zu verlassen, keine leichte Arbeit, in 
finsterer Nacht seinen Weg über die 
zerklüfteten Lavamassen und Schnee¬ 
felder des Piano del Lago zu suchen. 
Aber der schwierigste Teil liegt noch 
vor uns: das Erklimmen des 300 in 
hohen Kegels. Längst hat die Asche der 
Jahrhunderte, an den steilen Außen¬ 
wänden des Kraterberges hinrieselnd, 
die Lava mit einer meterhohen Decke 
überzogen. Doch ist der Aschengrund . 
glücklicherweise feuchter und fester als 
auf dem neapolitanischen Vulkan, 
sonst hätte auch der gewandteste Klet¬ 
terer keine Aussicht, den Gipfel zu er¬ 
reichen, denn der Zentralkegel besitzt 
eine Böschung von etwa 30 Grad und 
hebt sich scharf von dem Piano ab. Die 
sehr dünne Luft der Höhe verursacht 
überdies Beschwerden und bewirkt 
Kurzatmigkeit, welche zu öfterem 
Stillstehen nötigt. Bei manchem stellen 
sich auch alle Anzeichen der Bergkrank¬ 
heit ein, wie Herzklopfen, Schwindel 
und Mattigkeit. 
Weiße, gelbliche und grünliche 
Kristalle bedecken die Wände -es Ke¬ 
gels, infolge der Erdwärme ist er voll¬ 
kommen schneefrei. Dichte Dampf¬ 
knäuel wirbeln aus den Spalten) 
unter unseren Füßen glüht der Boden 
und ein erstickender Schwefelqualm be¬ 
nimmt uns den Atem. Die letzten 100 
Schritte sind die mühsamsten. Sie er¬ 
fordern die Anspannung aller Kräfte, 
weil wir auf den glatten Lavablöcken 
nirgends einen festen Halt finden und 
die dem Krater entsteigenden, mit 
Säuren und Gasen gesättigten Stick- : 
dämpfe uns direkt entgegenwehen. 
Endlich haben wir den Gipfel er¬ 
reicht. Wir stehen nun scharf am Rande 
des Kraters und können dessen Um-
	        
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