Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1914 (1914)

Lilien" unterworfen, denn die Knochen 
müssen noch weich und biegsam sein, 
wenn die Einschnürung beginnt. Mit 
2 Meter langen, handbreiten Baum- 
wollbandagen werden die Füße der¬ 
artig zusammengebogen, daß die Zehen 
allmählich dicht an der Ferse liegen. 
Dabei schwellen die Füße oft entsetzlich 
an, wenn nicht gar Eiterungen und 
Entzündungen entstehen. Allmählich 
werden die Binden immer fester ange¬ 
zogen, bis endlich die Muskeln sich an 
Sie künstliche Lage gewöhnt haben; das 
dauert ungefähr drei Jahre, während 
welcher Zeit die armen, kleinen Opfer 
mütterlicher Eitelkeit ein Leben voll 
Qualen und Schmerzen verbringen. 
Ein chinesisches Sprichwort sagt sehr 
bezeichnend, daß jedes Paar verkrüp¬ 
pelte Füße mit einem Bad von Trä¬ 
nen getauft sei und es ist erwiesen, 
daß von zehn Mädchen durchschnittlich 
eins während des Fußbindens stirbt 
oder an dessen Folgen zugrunde geht. 
Auch wenn die gewünschte Form end¬ 
lich erreicht ist, sind «die Leiden der 
kleinen Dulder noch nicht vorüber; sie 
dauern eigentlich lebenslang. Statt in 
fröhlicher Kinderlust umherzutollen, 
zu tanzen und zu klettern, kriechen die 
also Verstümmelten mühselig auf Hän¬ 
den und Knien umher oder humpeln 
an einer Art Krücken vorwärts, wenn 
sie nicht auf dem Rücken der Diene¬ 
rinnen getragen werden. Auch später¬ 
hin ist die Chinesenfrau, die mit ihren 
kraft- und fleischlosen Krüppelfüßen 
nur mit Mühe gehen kann, auf die 
Unterstützungen ihrer Dienerinnen 
und die Hilfe von Sänften angewiesen. 
Dafür aber hat sie den Stolz, die klein¬ 
sten Füße der Welt zu besitzen. 
Wie Golllieb Knaste avancierte. 
Eine lustige Solöatengeschichte. 
Generalinspizierung war befohlen, 
und der Herr Hauptmann der dritten 
Kompagnie schwebte in Todesangst. 
Fiel sie gut aus, dann wurde er Ma¬ 
jor; wenn nicht, so erhielt er das 
„a. D." (außer Dienst) vor seinem Na¬ 
men und konnte „in Zivil" spazieren 
gehen. Die Exzellenz war ganz unbe¬ 
rechenbar, wie viele Leute, welche die 
Gewalt haben. Eine Kleinigkeit 
konnte alles verderben. Dazu war 
Exzellenz schon bei der Musterung der 
ersten und zweiten Kompagnie nicht 
rosig gelaunt. Immer düsterer wurde 
sein Gesicht, immer drohender sträubte 
sich sein Schnurrbart . .. Das konnte 
gut werden. Jetzt kam die dritte 
Kompagnie an die Reihe. Auch hier 
schien vieles nicht den Ansichten gemäß 
ausgefallen zu sein. Da war ein Knopf 
zu trübe, dort ragte die Halsbinde 
eines Vaterlandsverteidigers um die 
Breite eines Strohhalmes zu weit 
aus dem Kragen hervor ... Mit stum¬ 
mer, resignierter Miene lenkte der 
Kompagniechef sein Pferd neben der 
Exzellenz dahin, die Reihen seiner 
getreuen Soldaten entlang. Ab und 
zu warf er dem Feldwebel einen viel¬ 
sagenden Blick zu, welcher diesen zu 
einer kurzen Notiz in sein vielgefürch¬ 
tetes schwarzes Buch veranlaßte. 
Jetzt war Seine Exzellenz ganz 
nahe bei Göttlieb Knake. Gottlieb 
Knake aber war das „Kreuz" der Kom¬ 
pagnie, der unverbesserlichste Mensch 
ohne Ordnung, ohne jede soldatische 
Tugend und ohne jedes Streben nach 
militärischer Vollkommenheit. Wenn 
alles recht war, dann machte er sicher 
eine bodenlose Dummheit. Daß er mit 
dem Ladestock auf die Scheibe geschossen 
hatte, war noch lange nicht sein kühn¬ 
ster Streich. Gewiß lieferte der In¬ 
fanterist Knake wieder etwas, wovon 
man in der Garnison 14 Tage lang 
sprach... Das Herz des mutigen Kom¬ 
pagnieführers, der das Eiserne Kreuz 
trug und in offener Feldschlacht schon 
manchen Beweis seiner Tapferkeit ge-
	        
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