Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1914 (1914)

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Hastig fuhr er empor. „Was will 
er?" — 
Doch da war an keine Antwort zu 
denken. Alle im Sinne gehabten und 
von seiner klugen Frau ihm einge¬ 
prägten schönen Worte waren dahin, 
er war buchstäblich, wenn auch nicht 
mit der Tür ins Haus, doch, was noch 
schlimmer war, dem Herrn beinahe auf 
die Nase gefallen. Er stand wie ver¬ 
steinert. 
„Nun, was will er denn?" fragte 
der Herr den Sprachlosen und erkannte 
ihn wieder. 
„Verzeihen Sie, mein Herr, ich 
war, ich bin, ich komme — der Schrei¬ 
nermeister, der die große Ehre hatte, 
für Sie zu arbeiten." 
„So, so, und? Er will Vorfragen? 
Ich habe jetzt nichts zu bestellen. Er 
braucht sich auch nicht zu bemühen, ich 
werde schicken, wenn ich seiner benö¬ 
tige. Vielleicht bald. Adieu!" — 
„Ach", fing der zerschmetterte 
Handwerksmann an, „der Herr möge 
nicht böse werden, aber ich möchte Sie 
wohl bitten um den Betrag des Ge¬ 
lieferten, ich habe kein Vermögen und 
habe das Geld zum Ankäufe des Hol¬ 
zes für die schönen neuen Möbel leihen 
müssen und —" 
Verdrießlich und mürrisch erhob 
sich der Kaufmann: „Ich bezahle nur 
halbjährlich) auf andere Termine kön¬ 
nen wir uns nicht einlassen, das macht 
uns zu viel Umstände. Doch das ist 
einmal gewesen. Er muß keine Ar¬ 
beit annehmen, wenn er nicht so lange 
warten kann auf Bezahlung." Und 
so winkte er einem zunächst sitzenden 
jungen Manne, demselben aufgebend, 
dem Meister die Summe auszuzahlen. 
Stumm nahm der Meister das 
Geld in Empfang, und an das Pult 
des Kaufmannes gehend, um zu unter¬ 
zeichnen, floß, erpreßt von den Gedan¬ 
ken: „Du kannst in Zukunft eine solche 
Arbeit doch nicht wieder annehmen, 
denn du hast kein Geld und deine Ar¬ 
mut verschließt dir jede Hoffnung 
dazu", eiue Träne über seine Wange 
und fiel auf die Quittung. Der Kauf¬ 
mann bemerkte sie. 
Stumm und niedergebeugt ver¬ 
neigte sich der Meister und ging. Als 
er die Hälfte des Zimmers durchschrit¬ 
ten hatte, rief ihn der Kaufmann 
zurück. 
„Hört einmal, Meister, von den 
Stühlen kann er mir noch ein Dutzend 
liefern und ich habe auch in der näch¬ 
sten Woche mehreres. Doch damit er 
mir in Zukunft nicht alle Augenblicke 
beschwerlich wird und weil er mir doch 
kein halbes Jahr Kredit geben kann, 
so will ich ihm Vorschuß geben. Zah¬ 
len Sie dem Manne noch 600 Mark!" 
sprach er zum Kassierer und blickte 
aufs Papier. 
Sprachlos stand der Meister da, im 
Innersten erschüttert) doch jetzt ging 
er rasch auf den Kaufmann zu, ergriff 
dessen Hand und drückte sie herzlich an 
seine Lippen. „Dank", stammelte er, 
„tausend Dank, guter Herr, der liebe 
Gott wird es Ihnen lohnen!" 
„Lass' er das, lieber Freund! 
Wenn er ein ehrlicher Mann ist, so 
braucht er des Dankes nicht. Doch hier 
kein Aufsehen, solche Szenen gehören 
nicht aufs Kontor, hier wohnt keine 
Herzlichkeit. Geh' er mit Gott! Ich 
komme bei Ihm vor und will einmal 
selbst nach seiner Wirtschaft sehen. 
Adieu!" 
Froh und überglücklich kehrte der 
Meister zurück. Fleißig arbeitete er, 
und durch des angesehenen Kunden 
Hilfe war er bald ein gemachter Mann. 
Der reiche Kaufmann aber fühlte an 
jedem Morgen eine so sonderbare Re¬ 
gung der Befriedigung in seinem Her¬ 
zen, daß er sich aufrichtig freute, eine 
so gute Tat verrichtet zu haben.
	        
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