Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1914 (1914)

alles, was das Auge eines Chinesen er¬ 
freuen kann, findet sich dort vereint. 
Pfeife und Teetopf werden dort niemals 
kalt. Hier ein glänzender Festzug, dort 
vereinigt ein üppiges Gastmahl — Herren 
und Damen getrennt — in der Mitte des 
Deckengewölbes die Himmelsbewohner im 
Olymp. Ein Bonze zeigte wir dort die 
Himmelskönigin, die berühmten Kaiser 
des grauen Altertums, die hl. Gelehrten 
Confucius, Laotze und den Erlöser 
Buddha, einen jeden in besonderer Herr¬ 
lichkeit. Im Allerheiligsten des Himmels 
thront die Dreiheit der Götter: Tien-. 
hoang, Tihoang, Genhoang — Beherr¬ 
scher des Himmels, Beherrscher der Erde 
und Beherrscher der Menschen. In ihrem 
Aeußern sind sie vollkommen gleich, nur 
hat der mittlere Götze einen erhöhten 
Standpunkt. Lange schwarze Bartlock in 
fließen herab von Ohren, Kinn und Ober¬ 
lippe, die Gewänder strotzen von Gold. 
Von der Betrachtung dieser Himmels- 
Herrlichkeit kehrte ich zu mir zurück und 
fragte wich erstaunt: Wie viele Berüh¬ 
rungspunkte finden sich hier mit dem, was 
die Schrift und der christliche Glaube uns 
berichten über die Freuden des Himmels. 
Und diese Hiwmelssreuden dauern auch 
nach heidnischer Anschauung immer und 
ewig. Ueber die ganze Darstellung ist der 
Reiz einer kindlich reinen Seele ausge- 
goffen. Es gibt einen Himmel, einen Ort, 
wo die Tugend und unsere guten Werke 
überaus reichlich belohnt werden, dieser 
Glaube eines jeden unverdorbenen Men¬ 
schenherzens war es, der dem heidnischen 
Künstler die Idee zu dieser Himmels¬ 
pagode eingab, und diesen Glauben teilt 
mit ihm die ganze chinesische Bevölkerung. 
Und immer und immer wieder frage ich 
mich: ein Volk, das so tief religiös veran¬ 
lagt ist und aus dem Schiffbruch widriger 
Zeitumstände von dem göttlichen Schatze 
der Uroffenbarung so viele und wichtige 
Glaubenswahrheiten gerettet hat, sollte 
das nicht von der Vorsehung bestimmt 
sein, iw Rate der christlich gewordenen 
Völker den ihm gebührenden Platz auszu¬ 
füllen — vielleicht gar, wie der eingangs 
erwähnte Missionär glaubt, bestimmt sein, 
die entarteten Völker Europas zu rege¬ 
nerieren? Wir wissen es nicht. Statt 
uns in unfruchtbare Vermutungen zu er¬ 
gehen, wollen wir durch Gebet und mate¬ 
rielle Mittel und persönliche Arbeit den 
Zeitpunkt beschleunigen helfen, wo das 
Chinesenvolk wiedergeboren durch die hei¬ 
lige Taufe anbetend das Knie beugt vor 
dem drei einigen Gott. 
Der gewagte Schuh. 
Ein Heiöebtld von Viktor H a i m e r. 
Die Nacht hatte sich herabgesenkt 
auf bas Dörfchen und deckte mit ihrem 
Schleier die ärmlichen Behausungen 
der Schlummernden. 
Der Sturm heulte und raste über 
die schneebedeckte Ebene hinweg und 
peitschte die massenhaft wirbelnden 
Schneeflocken gegen die knarrenden 
Laden und klirrenden Fenster, welche 
den dürftigen Schutz der Hütten gegen 
das Unwetter bildeten. 
Aechzend unter der Faust des 
Orkans beugten die Tannen des Wal¬ 
des ihre Wipfel und schüttelten unwil¬ 
lig den dichten Schnee von den Zwei¬ 
gen, um gleich wieder das erzwungene 
Spiel von Neuem anzufangen. Es 
war nichts zu unterscheiden als eine 
schwarze hin- und herwogende Masse, 
aus der ein dumpfes Stöhnen her¬ 
überklang. 
Der Reflex des spiegelglatten, 
schneeweißen Bodens allein erhellte die 
Dunkelheit, die auf Wald und Fläche 
ruhte. Im Dorfe selbst war kein Licht 
zu erspähen. Nur am äußersten Ende 
desselben drang durch die schlecht 
schließenden, vielfach verklebten Fen¬ 
steröffnungen vielleicht der ärmlichsten 
Hütte ein matter Strahl, der Kunde 
davon gab, daß menschliche Wesen da¬ 
rin wohnten. 
In dem einzigen Raume dieser 
dürftigen Behausung befanden sich nur 
zwei Personen. Eine derselben, ein 
junges Mädchen, saß an einem kleinen 
Tische in der Mitte des Zimmers und 
war mit einer Handarbeit beschäftigt. 
Dicht vor dem Nähgeräte stand ein 
kleines, äußerst kunstloses Oellämp- 
chen, von dem das wenige Licht aus¬ 
ging. Von Zeit zu Zeit blickte das 
Mädchen auf und sah sinnend in die 
Flamme. Das zarte, bleiche Gesicht 
verriet deutlich Kummer und Sorge, 
welche gerade jetzt ihr Herz bewegten,
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.