Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1913 (1913)

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heute zurückkäme, er fände sein Haus 
versorgt und sich selbst erwartet. Diese 
Pflichttreue, die jedes Stück des Schlos- 
ses gepflegt, den Schreibtisch, die Klei- 
der, die Wäsche in Ordnung gehalten, 
sie atmet Zurückerwarten eines gelieb- 
ten Abwesenden. Und diese Kleider, 
die da zweimal des Jahres sorgsam 
geklopft und gebürstet werden, hängen 
wohlgeordnet im Kasten des Schlaf- 
zimmers, die Generalsuniform fried- 
lich neben dem Zioilanznge, die Mili- 
tärmütze neben dem Zylinder. 
Die immense Bildung und Vielsei- 
tigkeit des Erzherzogs offenbarte sich 
in seiner Bibliothek, deren Kataloge 
sorgfältig und genau von seiner eige- 
nen Hand geführt sind, ein Sesam für 
Bibliophilen. Außer wertvollen 
Drucken sind auch kostbare Buchein- 
bände gesammelt. Auf einem Tische 
liegen Photographiealbums mit den 
Initialen des Erzherzogs. Sie enthal- 
ten Weltgeschichte, die Geschichte seiner 
Zeit. Viele feine und intime Blätter 
aus dem jungen Familienleben des 
Kaisers, Blätter, die nie in die Oefsent- 
lichkeit gelangten, sind hier aneinan- 
dergereiht und verbreiten Schwermut. 
Auf einer Konsole in einfachem Rah- 
men die Bilder Erzherzogs Stephan 
und des letzten Kammervorstehers, des 
Grafen Viktor Schaffgotfch. Auf dem 
Klaviere neben dem Harmonium — 
der verschollene Erzherzog war be- 
kanntlich auch ein feiner Musiker und 
Komponist — die Stickerei einer Dame, 
das letzte Geschenk, das der Erzherzog 
hier empfangen haben soll. Die ihm 
befreundete Baronin Viktorine v, Ha¬ 
senauer, die Gattin des großen Archi- 
tekten, fertigte die wunderschöne Go- 
belinstickerei an. In einem Waffen- 
kästen ruht unscheinbar und vergessen 
ein kleines Billet, eine Jagdeinladnng 
zur Riedheimer Jagd für den 22. Nov. 
1888. Auch die zwei Rucksäcke, deren 
der Erzherzog sich gerne bediente, hän- 
gen friedlich und vergessen in einem 
Kasten. 
Ueber eine Holztreppe gelange ich in 
den viereckigen großen Hofraum. Am 
Brunnen im hundertjährigen Efeu 
zwitschern hunderte lustiger Vögel, sie 
zwitschern unbekümmert um alles Ver- 
gehu und Verwehen. Und die wappen- 
geschmückten Schloßwände, sie werden 
weiter auf Generationen herabsehen, 
auf neue Besitzer und kommende Ge- 
schlechter. 2. S. 
Eindecker im 
Seit dem Moßen Leonardo hat man sich 
bei dem Streben nach der Verwirklichung 
des künstlichen Fluges die Vögel zum Mu- 
ster genommen und aus ihrer Bewegung 
zu lernen versucht. Ein französischer Na- 
turforscher, Dr. Belleme, hat jetzt den Nach- 
weis versucht, daß man von Insekten sich 
noch besser über die Geheimnisse des Flu- 
ges unterrichten lassen könne. Er bezeich- 
net die Vögel sogar als die schlechtesten 
Vorbilder für diesen Zweck, weil ihr Kör- 
perbau viel zu verwickelt und eigenartig 
sei, als daß man ihn nachahmen könnte. 
Für die idealen Lehrmeister im Kunstflug 
hält Belleme die Ordnung der zweiflüge- 
ligen Infekten, zu denen namentlich die 
Fliegen und Mücken gehören. Er vergleicht 
eine Fliege mit einem Blöriot-Eindecker. 
Die Fliege aber hat außer ihren beiden 
ausgewachsenen Flügeln noch einen klei- 
nen Apparat, der als Ersatz für ein zwei- 
tes Flügelpaar bestimmt ist. Er besteht in 
zwei kleinen starren, in ehren Knopf en¬ 
denden Stacheln, die zwischen der Brust 
Insektenreich. 
und dem Hinterleib befestigt sind. An man- 
chen Fliegenarten sind sie auffälliger als 
an anderen. Nach den Versuchen von Dr. 
Belleme dienen sie zur Erhaltung des 
Gleichgewichts. Eine Fliege, die ihrer be- 
raubt wird, verlernt damit nicht die Fä- 
higkeit des Fluges, aber sie kann nament- 
lich beim Abstieg die Richtung nicht im- 
mer recht einhalten. Im Schwebeflug aber 
kann es gar geschehen, daß sie sich über- 
schlägt. Sie muß jenes Orig'an auf alle 
Fälle sehr stark vermissen, denn sie gibt das 
Fliegen nach einigen Versuchen bald ganz 
auf und bewegt sich fast nur nocb auf ihren 
Beinen. Vergißt sie ihr Unglück und ver- 
traut sich aufs neue ihren Flügeln an, so 
kommt es meist bald zu gleichen Unglücks- 
fällen. Dr. Belleme schließt aus seinen 
Beobachtungen, daß es für die sichere Er- 
Haltung des' Gleichgewichts beim Flug von 
größter Wichtigkeit sei, durch irgendeinen 
Mechanismus den Schwerpunkt stets un- 
mittelbar unter der AufhänMngsachse, 
d. h. der Mittellinie der Flügel, zu halten.
	        
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