Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1913 (1913)

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ein Bildstöckchen nach Art öer Heiligen- 
Häuschen in katholischen Gegenden. 
Nur sieht man hier statt des Mutter- 
gottesbildes ein mit grellen Farben 
übermaltes, fratzenhaftes Götzenbild. 
Am 1. und 15. eines jeden Monats ist 
in großen Städten öer offizielle Tem- 
pelbefnch für Standespersonen strenge 
Pflicht. Dasselbe gilt für die höchsten 
Feste des Jahres wie Neujahr, Dra- 
cheufest, Frühlingsanfang und Ernte- 
fest. Zur Einleitung sehr hoher Feste 
errichten wohl die Bonzen draußen ein 
Zelt aus Matten und verrichten eine 
neuntägige Andacht, bestehend in nächt- 
lichem Chorgesang bei angezündeten 
Kerzen, Koto und Verbrennung von 
Weihrauch vor dem Götzenbilde. Wie 
v.iele Anhaltspunkte bieten sich hier 
dem Missionär bei Einführung der 
christlichen Festfeier und der Heiligung 
des Sonntags, nach der Mahnung des 
hl. Papstes Gregor des Großen, weise 
an das Bestehende, Althergebrachte an- 
zuknüpfen! Dasselbe gilt für Begrab- 
nisfeierlichkeiten und die Ehrung der 
Abgestorbenen durch feierliche Toten- 
opfer, wie es in China altehrwüröige 
Sitte ist. Hier ist es Sache des Miffio- 
närs, durch Beobachtung des feierlich 
ernsten Zeremonials beim Begräbnis 
eines Christen, durch feierliches Re- 
quiem bei ausgestellter Tumba den 
Vorwurf der Heiden zu entkräften, daß 
die christliche Kirche ihre Toten nicht 
ehre und sich um deren Seelenruhe 
nicht kümmere. 
Wenn ungeachtet dieser zahlreichen 
Berührungspunkte ein massenhafter 
Uebertritt zur christlichen Religion im 
Reiche der Mitte nicht erfolgt, so hat 
das andere Ursachen, die mit einem 
Schlage eben nicht beseitigt werden 
können. Ich nenne nur den sehr großen 
Priestermangel, die ungeheure Aus- 
dehnuug öer Kirchensprengel, Mangel 
an geeigneten, feeleneifrigen Katechi- 
sten und das Fehlen öer nötigen Geld- 
mittel. Es hält nicht schwer, einen 
halbwegs geweckten Chinesen von öer 
Hohlheit des Götzendienstes und öer 
Wahrheit des Christentums zu über- 
zeugen, da er durch ähnliche Lehren im 
Buddhismus gewissermaßen darauf 
vorbereitet ist. Aber den Willen, das 
Herz zu beugen unter die Beobachtung 
öes christlichen Sittengesetzes, öas steht 
nicht in öer Macht öes Prtesters, öas 
ist ein Werk der göttlichen Gnade. Das 
Herz liegt oft gefangen in den Fesseln 
irgend einer Leidenschaft. Oft ist es 
Furcht, im Avancement übergangen 
zu werden, Vermögen, Amt und Brot 
3r. Johann Schwinnkr 
Landtagsabgeordneter 
Referent über die Wahlreform im ob.-öst. Landtage. 
zu verlieren, sich mit der heidnischen 
Familie zu überwerfen, und diese 
Furcht ist begründet. Anderen erscheint 
das christliche Sittengesetz zu strenge, 
wieder andere hält die Bequemlichkeit 
vom Uebertritt zum Christentum ab. 
Denn sie wissen, daß die christliche Re- 
ligion annehmen, soviel heißt, als sich 
öer Frömmigkeit und der Uebnng der 
Tugend zu ergeben. Unö öazn fehlt 
ihnen öer Mut.
	        
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