Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1913 (1913)

Es ist dies die beste Gelegenheit,! 
den Kaiser zu sehen. Die Rückfahrt er- 
folgt meist gegen Abend, oft ist es schon 
stockfinster. Das Stammpublikum von 
Ischl kennt diese Gewohnheit des Kai- 
sers. Das sicherste Zeichen, daß der Kai- 
ser bald von der Jagd kommt, ist: so- 
bald auf der Ebeuseer Brücke ein 
Burggendarm auftaucht und die Kraft- 
wagenfahrer ermahnt, jetzt in nicht so 
rasender Fahrt dahinzufausen. Ferner 
wenn einige stramme Touristengestal- 
ten vor der Einfahrt der Kaiservilla in 
Ischl scheinbar planlos umhergehen 
oder hie und da ein hartgeschnittenes 
Detektivgesicht auftaucht. Unser Kaiser 
ist ein Feind jeder Bewachung und so- 
bald der kaiserliche Wagen in Sicht ist, 
verschwindet der jeweilige Burggen- 
darm hinter einem Baume oder Psei- 
1er, kurz, hinter einem ihn verbergen- 
den Gegenstand. Die in Zivil geklei- 
deten Herren haben es da besser, denn 
in der Menge bleiben sie unbemerkt. 
Sobald der Kurgast oder Einhei- 
mische den Burggendarm auf der 
Brücke erblickt, trachtet er einen vor- 
teilhaften Platz zu bekommen, um fest- 
stellen zu können, ob der Kaiser Jagd- 
glück gehabt, d. h. ob er den Bruch auf¬ 
gesteckt hat. Die Damen beeilen sich 
eine Art Hosknix zu machen, die Kin- 
der schwingen die abgepflückten Blu- 
men und Taschentücher, die Männer 
die Hüte, Hochrufe werden schüchtern 
laut, und freundlich, unzählige Male 
den Lodenhut lüftend, fährt der Kaiser 
wieder allein in seine Villa. Das Pub- 
likum sieht ihm befriedigt nach, der 
Burggendarm verläßt die Brücke, die 
Lodenhütigen und Geheimwachleute 
zerstreuen sich nach allen Seiten, durch 
die anbrechende Dunkelheit ertönt das 
feierliche Achtuhrgebetläuteu, Lichter 
flammen auf! Still ist es nun in der 
kaiserlichen Villa geworden — der 
Kaiser schläft. 
Der Kaiser geht unmittelbar nach 
der Jagd zu Bett, ohne je ein Abend- 
essen einzunehmen. Ein Glas saure 
Milch ist das tägliche Nachtmahl des 
hohen Herrn. Er geht meistens zwischen 
8 und 9 Uhr abends zu Bett und er- 
hebt sich um 4 Uhr morgens. Ein leuch- 
tendes Beispiel der Mäßigkeit und Ar- 
beit, die ihn so viele Jahre erhielt und 
znm Wohle seiner Untertanen noch 
lange in seiner geistigen Frische er- 
halten soll! 
Eine hundertjährige Strafe. 
Mit ungeduldiger Spannung er- 
wartet das zwölfte Regiment der bri- 
tischen königlichen Lanzenreiter, das 
gegenwärtig in Potchesstroom in 
Transvaal in Garnison liegt, den Ab- 
lauf des Jahres 1912, denn mit dem 
neuen Jahre wird eine Strafe verbüßt 
sein, die der Herzog von Wellington 
vor einem Jahrhundert über das Re- 
giment verhängt hat. Während des 
spanischen Krieges hatten die Lanzen- 
reiter ein Kloster überfallen, hatten 
geplündert und die Nonnen mißhan- 
delt. Als der „eiserne Herzog" davon 
erfuhr, bemächtigte sich seiner ein maß- 
loser Zorn. Er ließ sofort sein Pferd 
satteln, stürmte im Galopp zum Lager- 
platz des Regiments und ließ die Lau- 
zenreiter in Paradeuniform antreten. 
Vor der ganzen Truppe aber verur- 
teilte er nun die „zwölften Lanzen- 
reiter des Königs" zu einer eigen- 
artigen Strafe, die genau hundert 
Jahre währen follte. „Jeden Abend," 
so rief der Herzog den Soldaten zu, 
„wird die Regimentsmusik zur Parade 
aufmarschieren und nacheinander die 
spanische Nationalhymne, die russische 
Nationalhymne, den Vesperpsalm, die 
Hymne des Prinzen von Wales und 
dann „God save the King" spielen. 
Und während die Musik das spielt, 
werden alle Lanzenreiter stillstehen 
und zuhören." Seit jenem Verhängnis- 
vollen Jahre 1812 haben die zwölften 
Lanzenreiter, wie der Transvaal 
Chronicle ausführt, Tag um Tag diese 
merkwürdige Strafe verbüßt.
	        
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