Volltext: Österreichischer Volkskalender 1948 (1948)

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^Verbrechen auf Schiffen sind selten, sehr selten", ließ sich Kapitän van 
Boolen vernehmen. „Und doch habe ich einmal einen Fall gehabt, der nicht 
alltäglich war. Auch als Verbrechen nicht." 
Der Kapitän zündete sich eine Zigarre an und begann mit der Geschichte: 
Wir fuhren damals von New Jork nach Kuba. Ich führte damals den 
Dampfer „Caronia", der zwischen Holland und Amerika verkehrte. Manchmal 
fuhren wir über Boston, manchmal über Kuba. Die „Caronia" war für die da 
malige Zeit ein großes Schiff mit vier Masten, führte viel Fracht und einige 
hundert Passagiere. 
Ich erinnere mich noch genau an jene Nacht. Etwas vor Mitternacht hatten 
wir das Feuer von Kap Hatteras querab, ich gab noch dem zwe.iten Offizier 
meine Anweisungen für die Nacht und ging dann zur Koje. 
Ich hatte noch keine Stunde geschlafen, als mich der 1. Offizier weckte. 
Da mußte etwas besonderes los sein. 
„Diana Carletta ist erschossen worden", rief mir mein 1. Offizier zu, als ich 
die Tür zu meiner Kammer öffnete. 
„Diana Carletta? Das war eine böse Geschichte. Jeder in New Dörk kannte 
die schöne Tänzerin, die nicht mehr ganz jung war. Wenn einmal die Journa 
listen über diese Geschichte kamen, konnte es für uns unangenehm werden. 
Ich zog mich eilends an und ging mit dem Ersten auf das B-Deck. Hier 
wartete schon der Zahlmeister und der Arzt. 
• „Ein Schuß im Rücken, drei Zentimeter von der linken Lunge entfernt", 
meldete mir der Arzt. Das Geschoß glitt von der Rippe ab und blieb im Herz 
stecken. Der Tod muß augenblicklich erfolgt sein." 
Wir gingen zur Kabine der Tänzerin. Es war eine Außenkabine, deren 
Fenster auf das Bootsdeck ging. Beide Fenster waren geöffnet. Die Tänzerin 
mußte kurz vor dem Schuß mit dem Rücken gegen das Fenster zu gestanden 
sein, jetzt lag sie, das Gesicht nach unten, zwischen Waschtisch und Wandschrank, 
eine kleine Blutspur sickerte unter ihrem schlanken Körper hervor und zog sich 
über den Teppich. 
Wenige Meter vom Kabineneingang entfernt lag der Luftschacht, der in den 
Backbordheizraum führte. Ich konnte durch das Bodengitter hinab. auf die 
schwarzen Kohlenhaufen sehen, die vom grellen Feuerschein glutrot überstrahlt 
waren, wenn einer der Heizer mit seinem umwickelten Arm die Feuerungstür 
aufriß und dem Ungeheuer Kohle in den gefräßigen Bauch warf. 
„Einer von unten?" 
Der Erste schüttelte den Kops. „Drei Ingenieure wachen ständig zwischen 
Feuerung und Maschinenanlage. Sie müßten es bemerken, wenn einer von 
unten während der Dienstzeit hier herauf klettern würde." 
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