Volltext: Österreichischer Volkskalender 1936 (1936)

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„Hättst di net so eilen anlassen, Agnes! Solang 
i net da bin, kann net ang'fangt wer'n." Franzl 
lachte ihn mit seinen dunklen Augen an, in denen 
ein ganzes Feuerwerk Übermut sprühte. 
„No, Ihna muaß's ja recht guat gehn! übrigens, 
den ganzen Tag lachn tuan nur die Narren!" 
„Meinen S' leicht mich, Herr Bürgermeister?" 
„Na, den Kaiser von China mein' i! — Was is 
Ihna denn an dem .Sanktus' zu Stephani eigentli 
net recht? Solang i da Bürgermeister bin, is zu 
Stephani allwei der .Sanktus' g'sungen wor'n. Der 
Herr Lehrer glaubt wahrscheinli, i hab' a so weng 
z' tuan als wie er, daß i mi herstelln kann zu die 
Proben für an neuchen .Sanktus'!" Franzl schwang 
sich auf den Orgelsitz und parodierte die reichlich 
triviale Melodie des alten .Sanktus', daß alle in 
lautes Gelächter ausbrachen. 
„So a Narretei!" grollte Pointner. „Schämen 
S' Ihna net, da in der Kirchn!" 
„Ich kann leider die Orgel net auf den Kirchen 
platz hinaustragn!" 
Der Kooperator legte sich ins Mittel: „Dem 
Herrn Bürgermeister g'fallt der neue .Sanktus' ge 
wiß auch bester, gelten S'? So musikalisch sein Sie 
selber . . ." 
Pointner brummte etwas Zustimmendes und 
nahm sein Notenblatt zur Hand. Das bot ihm 
gleich willkommenen Anlaß zu einem neuen An 
griff. „Von wem is denn nach« dös? Da steht ja 
gar net, wer den neuchen .Sanktus' g'macht hat? 
Wistn S' leicht net, daß ma dös dazuaschreibt, Herr 
Lehrer?" 
Der sonst so schlagfertige Franzl blieb still und 
sah auf die Klaviatur. Da sagte der Kooperator 
fast feierlich: „Der Komponist des prachtvollen 
Werkes heißt Franz . . ." 
„Schubert!" schrie der Franzl und sprang auf. 
„Franz Schubert! Doch wer'n Sie den jungen Mei 
ster kaum kennen!" Der Schalk wußte wohl, daß 
der Bürgermeister ihn zufällig kannte. Der blähte 
sich sofort wieder auf vor Wichtigkeit. „Den Franzl 
Schubert aus Wien? I den net kennen? Junger 
Mann, den hab' i fcho kennt, wia Sie no in die 
Windln g'legn fein!" 
„Aber da war er ja noch gar net auf der Welt! 
Er is um vier Jahr' jünger als ich!" lachte der Lehrer. 
„Und trotzdem is er schon was, und Sie no 
nix!" entgegnete unbeirrt Pointner. 
„Woher kennt denn der Herr Bürgermeister den 
Schubert?" fragte interessiert der Kooperator. Da 
kam der Pointner wieder ins richtige Fahrwasser. 
„I hab' an Vetter z' Liachtental bei Wien, wissen 
S' eh, Herr Kooperator. Und dort is der alte Schu 
bert Schulmoaster. Wiar i vor a paar Jahr mein' 
Vettern b'suacht hab', hab' i in Schubert kennen 
g'lernt. Jetzt hat er gar a feine Stell' kriagt beim 
Grafen Esterhazy in Ungarn, als Musiklehrer!" Er 
sah plötzlich, daß Agnes bei der Orgel stand und 
mit dem Lehrer flüsterte. 
„Agnes", rief er hinüber. „Mir fangen zum 
Singen an! Eigentli sollt der Herr Kooperator die 
Orgel spielen. Das paßt sich besser, als daß s' a 
gewöhnlicher Lehrer spielt!" 
„Sie haben überhaupt etwas gegen den Lehrer 
stand!" grollte Franzl. 
„Na, gegen den Stand net, aber gegen einige 
Vertreter!" 
„Der Schubert war auch bis vorigs Jahr Schul 
gehilfe bei fein'm Vater. No, und jetzt is er doch 
auch a Hauslehrer!" 
„Ja, da Schubert! Aber Sie fein net der Schu 
bert!" trumpfte Pointner ihn ab. „Machen Sie an 
.Erlkönig' oder .Wanderers Nachtlied' oder schrei 
ben Sie so an .Sanktus', mei Liaba!" rief er, heftig 
auf das Notenblatt schlagend. „So an .Sanktus', 
dann fein Sie a wer!" 
Der Kooperator gab das Zeichen zum Anfang. 
Triumphierend ließ der Bürgermeister seinen Baß 
dröhnen, daß die Oberstimmen Mühe hatten, sich 
durchzusetzen. In seiner Selbstzufriedenheit sah er 
gar nicht, daß seine Agnes mit dem Lehrer einen 
glückselig leuchtenden Blick tauschte. 
Der Morgen des 24. Dezember dämmerte. Der 
Kooperator Josef Mohr saß über dem Konzept sei 
ner Feiertagspredigt. Da hörte er plötzlich ein wil 
des Hasten über die Treppe, ein stürmisches Klopfen 
an seiner Tür und herein stürzte sein Freund mit 
allen Zeichen des Schreckens. „Die Orgel is hin!" 
rief er atemlos. 
„Aber Franzl — die Orgel. . ." 
„Die Orgel is hin, gehn tut sie nimmer, am 
Mechanismus is was g'schehn!" stöhnte dieser. 
„Hast g'wiß das Chor wieder net abgesperrt!" 
„Eben!" entgegnete der Lehrer kleinlaut. „Aber 
wer denkt denn dran, daß da solche Raubers- 
buam . . . Aber denk nur, heut abends is die 
Mette, ohne Orgel können wir die Mess' net singen 
und bis heut abends kann man nix Neu's mehr 
einstudieren! Maria Taferl, so a Malöhr!" 
„Ein Lied wenn wir hätten, ein einfaches, stim 
mungsvolles Lied, vierstimmig . . ." 
„Nix is da, du kennst ja unser Noteninventar!" 
Versonnen zog der Kooperator einen Zettel aus 
seinem Schreibtisch. „Ich hab' da ein Gedicht 
g'macht, vielleicht inspiriert's dich zu was, so be 
scheiden es ist." Franz Gruber las es halblaut: 
„Stille Nacht! Heilige Nacht! 
Alles schläft. Einsam wacht 
Nur das traute, hochheilige Paar. 
Holder Knabe im lockigen Haar 
Schlafe in himmlischer Ruh'! 
Stille Nacht! Heilige Nacht! 
Hirten erst kundgemacht 
Durch der Engel Hallelujah! 
Tönt es laut von fern und nah: 
Christus, der Retter ist da! 
Stille Nacht! Heilige Nacht! 
Gottes Sohn, o, wie lacht 
Lieb' aus deinem göttlichen Mund, 
Da uns schlägt die rettende Stund', 
Christus in deiner Geburt!"
	        
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