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Tobias verbiß seine Schuld vor aller Welt. Er
blieb der harte, streng verschlossene Mann, als der
er aus dem Krieg heimgekommen war.
In zwei Jahren hatte sein Hof ein vollständig
neues Dach, war allenthalben gut gerichtet und her
gehalten, auch die Mühle war im besten Zustand
und voll ausgezah.lt. Der Bauer hatte jetzt keinen
Heller mehr von dem, was er dem bleichen Weib
im schwarzen Kleid damals abgenommen. Die Gold-
und Silberstücke waren auf Kauf- und Baukosten
dahingegangen, das Geschmeide hatte er in Wels
zu Geld gemacht und alles war in den Hof hinein
verschwunden — so wie die Fremde — das Haus
besaß jetzt den geraubten Schatz und schwieg. —
Schwieg? Nein, es schwieg nicht ganz, die Unheim
lichkeiten dauerten — oft mit langen Unterbrechun
gen — fort und fort. Auch das Gerede murmelte
immer wieder auf.
Tobias wurde nicht alt. Er konnte sich seines
Anwesens nicht lange freuen. Drei, vier Jahre nach
dem dunklen Geschehnis erfaßte ihn plötzlich ein
hitziges Fieber.
Susann«, die Bäuerin, pflegte ihn. Sie hätte nie
mand anderen zu ihm gelassen, sie hatte so ihre
Ahnungen. Aber sie sagte nie, nie ein Wort dar
über. Die Angst verschloß ihr den Mund und —
sie wollte nicht ganz daran glauben. Nie hatte sie
es gewagt, eine Frage an ihren Mann zu richten,
nicht einmal eine Andeutung darüber.
Im Fieberwahn sah der Bauer oft starr in eine
Ecke der Stube, mit allem Willen, als wollte er
dort etwas bannen. Und einmal schrie er: „Du, du
geh aussi! I hab dir eh nixi tan, dir, du Weib, du!"
Er leugnete noch vor sich selber!
Da fuhr Susanna zusammen: schlug ein Kreuz,
nahm den Weihbrunn, besprengte den Winkel, zu
Gott für die Armen Seelen bittend.
Tobias kam zu sich und nickte ihr zu. „Ich dank'
dir! Bist ein guetes Weib! Hol mir den Pfarrer —
schick um den Pfarrer — und bleib du immer bei
mir, verlaß mich nimmer!"
Nur während der Beichte verließ Susanna die
Krankenstube und betete draußen vor der Tür. Am
Sterbebett gestand Tobias dem Priester sein Ver
brechen, dem schloß das Beichtsiegel die Lippen. Er
ging dann mit ernstem, sorgenvollem Gesicht von
dannen; er ging gebeugt, als trüge er jetzt des
Bauern Schuld.
Eine Stunde nach dem Abspeisen verschied der
Bauer reuevoll, seinen frühen Tod ergeben als ver
diente Strafe hinnehmend.
In der Nacht nach seinem Tod konnte Susanna
nicht schlafen. Sie saß auf und betete den Rosen
kranz ununterbrochen. Einmal hörte sie ein Ge
räusch in der Stube, wo der Tote aufgebahrt lag.
Mutig ging sie hinein, hielt aber den Weihbrunn
kessel in der Hand.
Da sah sie selbst die schwarze Frau an der Bahre
ihres Mannes stehen. Deutlich sah sie sie und das
Gespenst sah sie traurig an. Susanna blieb fest,
sprengte betend Weihwasser nach der Erscheinung
und diese zerrann.
Am grauenden Morgen ging die Bäuerin mit
dem Weihbrunn auf den Tenn, weihte auf ihre
Weise zitternd alles aus, warf sich auf die Knie
nieder und bat zu Gott um Erlösung für die Arme
Seele, um Erlösung des Hofes von dem Spuk.
Hierauf fand das Begräbnis des Bauern in aller
Ruhe statt und lange Jahre blieb es ruhig im Hof.
Susanna war noch frömmer geworden, als sie
jemals war. Sie blieb Witwe, trotzdem sie noch im
kräftigsten Alter stand. Sie opferte sich auf in gu
ter Meinung, opferte für die Armen Seelen, ließ
Messen lesen für die Abgeschiedenen und war mild
gegen Arme und Fremde.
Gern hätte sie einmal mit dem Pfarrer über alles
gesprochen, aber sie wagte nicht einmal das, um
nicht nachträglich noch einen Verdacht auf ihren
Gatten zu lenken.
Der Pfarrherr selbst war mit ihrem Lebenswan
del hochzufrieden, sprach sich einmal anerkennend
gegen sie aus, riet ihr, immer so zu bleiben und
auch ihre Kinder zu diesen guten Sitten anzu
halten.
Jahre kamen, Jahre gingen. Solange Susanna
lebte, blieb es leidlich ruhig im Haus.
Manchmal war die Bäuerin allein daheim. Dann
war es ihr, als fühle sie die tote Frau neben sich,
nicht feindlich, eher bittend. „Sie will gefunden
werden und will in die geweihte Erde", dachte sie
dann. „Sie will in ein richtiges Grab zu den an
deren Toten."
Dann ging sie, den Rosenkranz in der Hand,
durch den ganzen Hof. Sie suchte nach der Leiche,
nach Überresten der Fremden. Die Böden, den Kel
ler, den Tenn durchforschte sie immer wieder. Wenn
sie nur irgend etwas gefunden hätte! Aber alles
Suchen war umsonst! Nie hatte man Verdächtiges
gesehen, niemals auch nur den geringsten Leichen
geruch verspürt. Wo, wo mochte Tobias die Er
mordete verborgen haben? Und für Susanna war
es immer noch nicht sicher, daß er sie ermordet
hatte!
Sie fügte sich schließlich darein. Die Seele der
Toten hatte nicht mehr die Kraft, den Aufenthalt
ihres Körpers bekanntzugeben — und Susannas
noch erdgebundene Ahnung war nicht imstande, al
les zu verstehen.
Susanna kam zum Sterben. Ein Sohn übernahm
den Hof, sogar jener, dem einmal die schwarze
Frau am Tenn erschienen war.
„Mueßt achtgeben, Sepp!" Das war unter den
letzten Worten der Bäuerin.
„Weiß schon, Mutter — in Gottesnam'!"
Sepp kannte den Spuk seines Hofes, aber des
wegen die Heimat verlassen, nein, an der hing er
zu sehr.