Volltext: Österreichischer Volkskalender 1936 (1936)

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Tobias verbiß seine Schuld vor aller Welt. Er 
blieb der harte, streng verschlossene Mann, als der 
er aus dem Krieg heimgekommen war. 
In zwei Jahren hatte sein Hof ein vollständig 
neues Dach, war allenthalben gut gerichtet und her 
gehalten, auch die Mühle war im besten Zustand 
und voll ausgezah.lt. Der Bauer hatte jetzt keinen 
Heller mehr von dem, was er dem bleichen Weib 
im schwarzen Kleid damals abgenommen. Die Gold- 
und Silberstücke waren auf Kauf- und Baukosten 
dahingegangen, das Geschmeide hatte er in Wels 
zu Geld gemacht und alles war in den Hof hinein 
verschwunden — so wie die Fremde — das Haus 
besaß jetzt den geraubten Schatz und schwieg. — 
Schwieg? Nein, es schwieg nicht ganz, die Unheim 
lichkeiten dauerten — oft mit langen Unterbrechun 
gen — fort und fort. Auch das Gerede murmelte 
immer wieder auf. 
Tobias wurde nicht alt. Er konnte sich seines 
Anwesens nicht lange freuen. Drei, vier Jahre nach 
dem dunklen Geschehnis erfaßte ihn plötzlich ein 
hitziges Fieber. 
Susann«, die Bäuerin, pflegte ihn. Sie hätte nie 
mand anderen zu ihm gelassen, sie hatte so ihre 
Ahnungen. Aber sie sagte nie, nie ein Wort dar 
über. Die Angst verschloß ihr den Mund und — 
sie wollte nicht ganz daran glauben. Nie hatte sie 
es gewagt, eine Frage an ihren Mann zu richten, 
nicht einmal eine Andeutung darüber. 
Im Fieberwahn sah der Bauer oft starr in eine 
Ecke der Stube, mit allem Willen, als wollte er 
dort etwas bannen. Und einmal schrie er: „Du, du 
geh aussi! I hab dir eh nixi tan, dir, du Weib, du!" 
Er leugnete noch vor sich selber! 
Da fuhr Susanna zusammen: schlug ein Kreuz, 
nahm den Weihbrunn, besprengte den Winkel, zu 
Gott für die Armen Seelen bittend. 
Tobias kam zu sich und nickte ihr zu. „Ich dank' 
dir! Bist ein guetes Weib! Hol mir den Pfarrer — 
schick um den Pfarrer — und bleib du immer bei 
mir, verlaß mich nimmer!" 
Nur während der Beichte verließ Susanna die 
Krankenstube und betete draußen vor der Tür. Am 
Sterbebett gestand Tobias dem Priester sein Ver 
brechen, dem schloß das Beichtsiegel die Lippen. Er 
ging dann mit ernstem, sorgenvollem Gesicht von 
dannen; er ging gebeugt, als trüge er jetzt des 
Bauern Schuld. 
Eine Stunde nach dem Abspeisen verschied der 
Bauer reuevoll, seinen frühen Tod ergeben als ver 
diente Strafe hinnehmend. 
In der Nacht nach seinem Tod konnte Susanna 
nicht schlafen. Sie saß auf und betete den Rosen 
kranz ununterbrochen. Einmal hörte sie ein Ge 
räusch in der Stube, wo der Tote aufgebahrt lag. 
Mutig ging sie hinein, hielt aber den Weihbrunn 
kessel in der Hand. 
Da sah sie selbst die schwarze Frau an der Bahre 
ihres Mannes stehen. Deutlich sah sie sie und das 
Gespenst sah sie traurig an. Susanna blieb fest, 
sprengte betend Weihwasser nach der Erscheinung 
und diese zerrann. 
Am grauenden Morgen ging die Bäuerin mit 
dem Weihbrunn auf den Tenn, weihte auf ihre 
Weise zitternd alles aus, warf sich auf die Knie 
nieder und bat zu Gott um Erlösung für die Arme 
Seele, um Erlösung des Hofes von dem Spuk. 
Hierauf fand das Begräbnis des Bauern in aller 
Ruhe statt und lange Jahre blieb es ruhig im Hof. 
Susanna war noch frömmer geworden, als sie 
jemals war. Sie blieb Witwe, trotzdem sie noch im 
kräftigsten Alter stand. Sie opferte sich auf in gu 
ter Meinung, opferte für die Armen Seelen, ließ 
Messen lesen für die Abgeschiedenen und war mild 
gegen Arme und Fremde. 
Gern hätte sie einmal mit dem Pfarrer über alles 
gesprochen, aber sie wagte nicht einmal das, um 
nicht nachträglich noch einen Verdacht auf ihren 
Gatten zu lenken. 
Der Pfarrherr selbst war mit ihrem Lebenswan 
del hochzufrieden, sprach sich einmal anerkennend 
gegen sie aus, riet ihr, immer so zu bleiben und 
auch ihre Kinder zu diesen guten Sitten anzu 
halten. 
Jahre kamen, Jahre gingen. Solange Susanna 
lebte, blieb es leidlich ruhig im Haus. 
Manchmal war die Bäuerin allein daheim. Dann 
war es ihr, als fühle sie die tote Frau neben sich, 
nicht feindlich, eher bittend. „Sie will gefunden 
werden und will in die geweihte Erde", dachte sie 
dann. „Sie will in ein richtiges Grab zu den an 
deren Toten." 
Dann ging sie, den Rosenkranz in der Hand, 
durch den ganzen Hof. Sie suchte nach der Leiche, 
nach Überresten der Fremden. Die Böden, den Kel 
ler, den Tenn durchforschte sie immer wieder. Wenn 
sie nur irgend etwas gefunden hätte! Aber alles 
Suchen war umsonst! Nie hatte man Verdächtiges 
gesehen, niemals auch nur den geringsten Leichen 
geruch verspürt. Wo, wo mochte Tobias die Er 
mordete verborgen haben? Und für Susanna war 
es immer noch nicht sicher, daß er sie ermordet 
hatte! 
Sie fügte sich schließlich darein. Die Seele der 
Toten hatte nicht mehr die Kraft, den Aufenthalt 
ihres Körpers bekanntzugeben — und Susannas 
noch erdgebundene Ahnung war nicht imstande, al 
les zu verstehen. 
Susanna kam zum Sterben. Ein Sohn übernahm 
den Hof, sogar jener, dem einmal die schwarze 
Frau am Tenn erschienen war. 
„Mueßt achtgeben, Sepp!" Das war unter den 
letzten Worten der Bäuerin. 
„Weiß schon, Mutter — in Gottesnam'!" 
Sepp kannte den Spuk seines Hofes, aber des 
wegen die Heimat verlassen, nein, an der hing er 
zu sehr.
	        
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