Volltext: Österreichischer Volkskalender 1936 (1936)

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und zwei winzige, silberne Vrünnlein rinnen über 
die Wangen. „Mutter im Grab", denkt sie, „du 
weißt es, mein Leben ist dünn, mein Leben ist 
sauer; aber ich muß mich durchbeißen, Unsere 
Liebe Frau steh mir bei . . ." So eine Ernste ist 
die Leni. 
Heller dringt es durch das Fenster. Die Sonne 
steigt rot in den grauen Himmel. Die Wipfel drau 
ßen glimmen im Schein. „Ja", denkt die Leni 
weiter, „ich muß mich durchbeißen und ich muß es 
dem Vater sagen, sonst brennt es mir die Seele 
heraus . . ." 
Der Toni aber rennt hinaus und schreit dem 
Einöder zu: „Das Heu ist weg und der Zucker ist 
weg, kein Bröserl ist mehr da . . ." 
Der Einöder pafft den Rauch aus der Pfeife 
und lacht den Toni an. „Hm . . ." sagt er, „jaja, 
das Christkindl. . ." 
Die Uhr schlägt still in der Stube. Aus dem 
Stall steigt Dampf und Wärme. Der Knecht gibt 
den Rössern vor; die Magd richtet Futter und 
Trank für das Vieh. „Heut' Nacht", wispert sie 
beiläufig zur Leni hin, „heut' Nacht hat mir von 
einer Leich' träumt, gibt's leicht bald eine Hoch 
zeit!" lacht sie giftig und ihre Augen funkeln 
schwarz. 
Blaß vor Zorn steht die Leni am Herd. 
Grau und düster wie ein Mühseliger geht der 
Tag über die Einöd; geht er über Vater, Tochter 
und Sohn, über Hügel und Hänge, über Schnee 
nnd Wald. 
* 
Wenn man von der Einöd ins Dorf hinunter 
will, darf man gutding zwei Stunden rechnen. 
In der schönen Jahreszeit ist es ja ein Kinderspiel; 
aber im Winter, wenn Pfad und Weg verschneit, 
ist es keine leichte Wanderschaft. 
Das Dorf ist klein; die Dächer hängen tief zur 
Erde und die Fenster sind eng und arm. Eine alte 
Turmuhr, die ernst in den Tag, in die Nacht ruft, 
Dengelton, Drischelklang und Abendläuten, das 
gibt es dort — und steinalte Ahnfrauen mit spinn 
webzarten Stimmlein und harten, herben Holz 
schuhen und viel, viel Wald. 
Schon vor langer Zeit hatten die Einödbauern 
halben Wegs zum Dorf eine Kapelle erbaut. Dort 
hin gehen sie, wenn der Weg zum Dorf zu hart 
und etwa an den Sonntagnachmittagen; denn ein 
Sonntag ohne Kirche ist geringer als ein Werktag. 
Das Kirchlein ist nicht ausgemalt und das Stuhl 
werk ist von rohem Holz. Nur der Betstuhl in der 
Mitte vor dem Altar ist gepolstert. Dort thront 
das Bild Mariens und daneben steht in arger 
Marter St. Sebastian. Auch der heilige Florian, 
der Feuerlöscher, hebt sein Wasserkrüglein in die 
Höhe. Von der Decke herab, in ärmlichem Be 
hälter, flackert das Ewige Lichtlein wie ein himm 
lisch Aug'. 
Hinter der Türe hängt, von rauhem Strick ge 
halten, eine Pflugschar, alt und still. Daneben 
liegt ein eisern Stück. Dies ist des Kirchleins sin 
nig Glockenwerk 
„Läuten muß ich", brummt der Elmerknecht, 
„daß die Herzen brausen", nimmt das Eisenstück 
und schlägt es auf die Pflugschar, daß sie dröhnt 
und singt, Worte aus der Ackerfurche gebrochen, 
Worte von Lerchen beschenkt, heilige Rufe des 
Herrn. 
Und die Nacht, die Heilige Nacht, leuchtet mit 
tausend Kerzen am Himmel über Feld und Flur 
und breitet den Mantel der Botschaft über Hügel 
und Berge, die knienden Hirten gleich sich nieder 
bücken ins Wunder der Nacht. Der Heiland ist 
geboren! 
Wer nicht hinunter konnte ins Dorf zur Mette, 
kniet in der Kapelle; Knecht und Magd, Bäuerin 
und Kind, das ganze Kirchlein ist voll und die 
Schatten der vermummten Beter gehen an dek 
Mauer hin und her. Heilig zittert das Ewige Licht 
und ein Kripplein, süß und fromm, steht auf dem 
Altar. 
Der alte Grienervater betet vor; er ist so alt wie 
eine hundertjährige Linde, darein die jungen Jahre 
ihre märchenhaften Herzlein zeichneten, und wie 
er so kniet mit wallendem Bart und wie er so 
betet, da beben seine Worte wie die eines Königs 
vor dem Herrn der Welt und tief und warm 
braust der Chor in den Stühlen nach, die Acker- 
fäuste gefaltet überm pochenden Herzen. 
Christus, der Retter ist da . . .! 
Und die Sonne wird ihre Bahn wieder zu hö 
herem Bogen wenden und das Kühlein im Stall 
und das Kälblein am Stroh wird das Zünglein 
zur Sprache heben im Frieden dieser Stunde. 
„Gelobt sei der Herr in alle Ewigkeit . . ." 
„Amen . . .!" 
Langsam erheben sie sich und gehen wieder heim, 
am Acker vorbei, hierhin, dort hinein, heim in du 
Einschicht. 
Vor dem Kirchlein steht ein Bursche, etwas ab 
seits, und wartet. Sein Gesicht ist frisch und seine 
Augen sind gut. Wie die Leni aus der Kapelle 
tritt, zupft er sie leicht am Tuch. Erschrocken vor 
Freude, reicht sie ihm schnell die Hand, die er fest 
drückt, als hätte er, weiß der Himmel, wie lang 
gewartet auf diese Hand. 
„Martl", sagt die Leni hastig, „ich hab' gebetet 
zu Unserer Lieben Frau, ich hab' gebetet Tag und 
Nacht, heut' sag ich es ihm . . . Und kommt es, 
wie es mag, immer gehör' ich dir . . ." 
Die hagere Gestalt des Einöders erscheint und 
sie folgt ihm sogleich, seine Schritte treten tieft 
Fußstapfen in den Schnee. Mit Mühe und Not 
nur kommt sie mit, so weit zieht er aus. 
Einsam steigen sie den weißen Hügel hinauf. 
„Vater", beginnt die Leni sanft, „ich hab' lang 
geschwiegen, jetzt aber muß ich sprechen ..." 
Der Einöder bleibt jählings stehen und wendet, 
sich. 
„Der Grienerbauer hat einen Knecht", fährt sie 
weiter, „und der heißt Martl . . ." 
„Was ist's nachher? Weiter?" 
„ und dem hab' ich mich versprochen!"
	        
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