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Blondling in die Arme und trägt ihn in den
Wagen. Dann knallen die Peitschen und die
Gefährte sausen polternd davon. Die Gäule
greifen aus. Schneller, immer schneller geht
die Fahrt dahin auf dem steinigen Sträßlein
durch den dunkelnden Wald. Fort, fort, die
Rache ist gelungen und sie ist süß, so süß! Leise
lacht der Mond über Wälder und Fluren.
Weit im Lande unter der Enns leuchtet er
nächtlichen Landfahrern auf steinigen Straßen.
Im Teufelsbauernhof liegt dumpfe Angst
über allen und unheilvolle Verwirrung zittert
durch alles, was geschieht. Die alte Hauserin,
die dem Bauer die Wirtschaft führt, seit sein
Weib ans dem Hause starb, liegt vor dem ur
alten, rauchgeschwärzten Muttergottesbild auf
den Knien und ringt heulend die Hände und
stammelt Worte durcheinander, die kein Mensch
versteht.
Der Bub ist fort. Nirgends zu finden!
Und sie trägt alle Schuld, sie die Hauserin,
sie hat die Aufsicht gehabt. Der Tenfelsbauer
ist rasend geworden. Wie Hunde hat er
Knechte und Mägde aus dem Hause gejagt
auf der Suche nach dem verlorenen Kind.
Er selbst sauft auf dem besten Roß in die Nacht
hinaus. Überall hat man nachgefragt nach
dem Buben, aber in keinem der Höfe der Um
gebung weiß man etwas, hat man das Kind
gesehen. Laut und gellend dringen die Schreie
der Suchenden durch die Nacht. Aber keine
Antwort. Nur die Wälder werfen den Wider
hall spottend zurück. Langsam kehren die Be
diensteten wieder zum Hof zurück. Einer nach
dem andern, gedrückt und stumm. Keiner hat
etwas zu sagen, sie wissen, es ist umsonst. Sie
denken an die fahrenden Leute.
Der Bauer kehrt nicht zurück. Was er tun
wird, weiß keiner, aber die Zeit wird schlimm
werden für sie alle. Der einzige Erbe, sein
Liebling, sein ganzes Trachten .urtb Sinnen ist
verloren.
Draußen jagt durch die Stille der Nacht ein
einsamer Reiter. Milchblaß rieselt das Mond
licht über die weiten, taufeuchten Fluren und
vom Walde, her streicht kühl und klar würzige
Nachtluft. Tiefer Schlaf hat alles umfangen.
Nur ein Bächlein murmelt seine alten Melodien
durch den Frieden der Nacht. Ein ruheloser
Reiter jagt übers nächtliche Land. Ein Vater
sucht nach seinem Kinde.
Seit jener Nacht ist manches Jahr ver
gangen. Über den Teufelbauernhof ist eine
böse Zeit hereingebrochen. Aber langsam ist
alles wieder ins alte Geleise gekommen. Nur
der Bauer nicht. Härter und mürrischer als
früher und einsamer ist er geworden. Sein
brauner Schädel ist stark angegraut und sein
Gesicht ist älter geworden, als die Zeit es
vermocht hätte.. Das alte, schwarze Mntter-
gottesbild ist aus dem Hause verschwunden
und wohin das Kruzifix, das in der Stube
hing, gewandert ist, weiß auch keiner. Der
Bauer glaubt an keinen Gott und keinen Teufel
mehr. So reden die Knechte und Mägde zu
einander. Aber laut sagen sie nichts.
Und wieder gehen Jahre vorüber. Und
wieder ist es Sommer wie vor Zeiten. Im
Ungarland steht ein Häuschen, dessen blanke
Fensterscheiben im Sonnenlicht glänzen und
leuchten wie lauteres Gold. Am warmen Ge
mäuer windet sich die lauschige Weinrebe,
traubenschwer, und im Gärtchen, das das
Haus umgibt, blühen hundert bunte Blumen
und leuchtende Rosen. Der süße Duft der
Blüten schwängert die warme, regungslose
Luft und sonnetrunken und betäubt gaukeln
seltene Falter über die Gräser und die Bienen
summen durch die Mittagsstille. Die Bäume
tragen schwere Frucht und hängen voll mit
edlen Pfirsichen, süßen Birnen und saftigen
Äpfeln. Und hundert Vogelkehlen jubeln in
den Sommertag hinein. Unter einem alten,
weitästigen Apfelbaum ruht auf einer be
jahrten, wettergrauen Bank der alte Pfarrherr,
der Inhaber dieser kleinen, sonnigen Welt. Er
hält sein Mittagsstündchen und die große, heiße
Stille schließt ihm langsam die Augen. Nur
manchmal blinzelt er nach oben, wo im Geäst
des Baumes ein blondes Bürschlein sitzt und
sich frohgemut ein altes Reiterliedel pfeift.
Ein Lächeln weht über den Mund des Alten
und wieder nickt er ein. Die Dorfuhr schlägt
die Mittagsstunde und der Junge ans dem
Baum beißt in einen rotwangigen Apfel.
* *
*
Die Zeit vergeht. Vieles ändert sich und
vieles bleibt dasselbe. Geändert hat sich der
Tenfelsbauer. Sein Schädel ist silbergran
geworden. Er geht wieder fort; freilich nicht
zur Predigt oder zur Messe, aber ins Wirts
haus. Er ist ein arger Säufer und Spieler
geworden.
Gleichgeblieben aber ist der Schmerz, den
er oft und oft in stillen einsamen Stunden