Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1928 (1928)

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vermacht — eins tut's auch und Vielleicht 
ein Paar tausend Märklein dazu." 
„Nur nicht mehr auslassen von der 
frommen Weise", sagte die Nagelschmiedin. 
„Jetzt haben wir sie schon beim richtigen 
Zipfel — die alte Baßgeigen, die schein 
heilige. Im Herbst stiften wir ein paar Zent 
ner Kartoffel zum Waisenhaus und zum 
Christkindl ein paar Dutzend Pulswärmer 
für die armen Würmer. .. Paß nur auf, 
nachher kommt uns die Erbschaft nicht aus." 
* 
Am zähesten hielt sich zur Erbtante ein 
gewisser Blasius Lebzelter. Er schrieb sich 
nicht bloß so, sondern war von Geburt auch 
einer, nämlich der Sohn des Konditors am 
Stadtplatz, und die Süßigkeit, die er an den 
Tag legte, besonders der Erbtante Ursula 
Mühlschlögel gegenüber, war ihm also sozu- 
.sagen angeboren. Er hatte einige Jahre 
studiert und während der Inflationszeit ein 
Bankgeschäft betrieben. Er galt für nicht 
unvermögend und man sprach allgemein 
davon, wie er es verstanden hatte, Wert 
papiere an sich zu bringen, die dann wieder 
hoch im Kurse standen. 
Jetzt war er Inhaber eines gutgehenden 
Mietautogeschäftes. 
Wie wurmte sich der Nagelschmied, wenn 
der „junge Spritzer" die Erbtante bei schö 
nem Wetter im Auto spazieren fuhr. Und 
die Nagelschmiedin schickte ein Stoßgebet 
ums andere zum Himmel: Der Herrgott 
möge ein Einsehen haben und ein Auto 
unglück geschehen lassen, bei dem alle beide 
das Leben lassen müßten, die Erbtante und 
der Erbschleicher, der windige. . . 
Aber nichts geschah. Obzwar das Wochen 
blättchen voll von Autounfällen aller Art 
war, die zwei kamen immer mit heiler Haut 
nach Hause. 
Hätten die Pretzenbeckschen Ehegatten 
erst gewußt, mit welch infernalischen Plänen 
sich der Blasius Lebzelter, dieser Windbeutel, 
hinsichtlich der Mühlschlögelschen Erbtante 
trug, sie hätten kein ruhiges Viertelstündchen 
mehr gehabt. 
Dieser Blasius Lebzelter trug sich nämlich 
mit der Absicht, sich von der Erbtante an 
Kindesstatt und damit natürlich — als 
Universalerbe annehmen zu lassen. 
Blasius Lebzelter hatte nicht umsonst 
ein paar Jahre studiert! 
Und beinahe wäre ihm diese Absicht ge- - 
glückt. Wie nämlich die Witwe Mühlschlögel Per 
in die Waisenhauskapelle einen neuen Altar chUs 
stiftete, da hat es sich der Blasius Lebzelter s Hin 
nicht nehmen lassen, die Vergoldung des i Wie 
Tabernackels aus s einer Tasche zu bestreiten. 
Es war schon der Tag bestimmt, an den: •> 
die Annahme des Blasius Lebzelter an > der 
Kindesstatt durch die Witwe Mühlschlögel * 
gerichtlich gemacht werden sollte. Da geschah 
aber das Unvorhergesehene oder eigentlich sche 
längst vorhergesehene, nämlich der sprich- : 
wörtliche Mühlschlögelsche Schlaganfall, der unt 
die Witwe am Kaffeetisch überraschte. Alle der 
Wiederbelebungsversuche durch den raschest 
herbeigerufenenKcankenhausarzt warenver 
geblich, und die Verwandten atmeten er- 
leichtert und erwartungsvoll auf. Denn, daß 
die Verewigte ein Testament gemacht hatte, 
stand bei ihrem praktischen Lebenssinn fest. 
Die voraussichtlichen Haupterben, der 
Blasius Lebzelter und die Pretzenpeckschen 
Ehegatten, harrten der kommenden Dinge ^ 
mit Spannung und Zuversicht. 
Drei Tage nach der feierlichen Beisetzung 
der Verewigten im Mühlschlögelschen Fa- ^r 
miliengrabe lud der Notar die Verwandten 
der Erblasserin zu sich und verlas das Testa- ant 
ment: f e i t 
Ich, Ursula Mühlschlögel, geborene Hör- un j 
naus, bestimme letztwillig wie folgt: Nachdem 
meine lieben Verwandten alle einen so 
frommen und wohltätigen Sinn an den Tag pe, 
gelegt haben, hoffe ich, ihren vollen Beifall spg 
zu finden, wenn ich meine drei Häuser am 
Stadtplatz sowie mein Barvermögen und die hg, 
Möbel der hiesigen Waisenhausstiftung ver- Fa 
mache. aus 
Meinem lieben Vetter Blasius Lebzelter 
verehre ich als Andenken an mich diese ge-1 ges 
rahmte Inschrift, die er zeitlebens beherzigen me 
soll. Der Notar überreichte dem Erben ein bes 
Täfelchen mit der Aufschrift: „Willst du voll- [ Zii 
kommen sein, so gehe hin und verkaufe alles s gel 
was du hast und gib es den Armen." 
Der Notar fuhr weiter: Meinen lieben 
Pretzenpeckschen Verwandten, die für das. Z" 
Waisenhaus schon so viel geleistet haben, ver- : ^ e1 
mache ich als Andenken an mich die andere , ® e1 
Tafel mit der Aufschrift: „Was ihr dem 
Geringsten meiner Brüder getan habt, habt { . 
ihr mir getan." l et
	        
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