Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1919 (1919)

Das Tagblatt der gnädigen Lrau. 
Uebersetzung aus dem Spanischen von P. Matthias Grammer C. Ss. R. 
(Aus „Hormiga de oro“ 1906.) 
Ein eifriger Herr war der Pfarrer Don 
Cosmas von der Stadtpfarre St. Peter, das 
muß man ihm lassen, und kühn war er auch. 
Er war kein Hasenfuß. Es gelang ihm 
binnen kurzem in seiner Pfarrei eine wahre 
Baumschule der christlichen Presse anzu 
legen, und so der radikalen Presse mit Er 
folg entgegen zu arbeiten. Er hätte bessere 
Pfarren und 
reichlicher do 
tierte Pfründen 
baben können. 
Doch der eale 
Priester er 
wählte gerade 
die arg darnie 
derliegende 
Pfarrei Sankt 
Peter, diesen 
ganz verwilder 
ten Weinberg, 
um ihn zu re 
formieren. Es 
gehörte Coura 
ge und Energie 
in nicht ge 
wöhnlichem 
Grade dazu. 
Don Cosmas 
hatte beides. 
Nachdem er im 
Heiligtum 
selbst, in seiner Pfarrkirche und beim Gottes-^ 
dienste den Schlendrian und die Spinn 
gewebe hinausexpediert hatte, den öfteren 
Sadamente-Empiang eingeführt und den 
gewissenhaften Religionsunterricht in der 
Schule begründet batte, warf er sein Augen 
merk auf die Presse und das Vereinswesen. 
Nur von ersterer habe ich hier zu berichten. 
Da sah es durch Indolenz seiner Vor 
gänger jämmerlich aus: Nicht ein katho 
lisches Blatt in der Pfarrgemeinde. So 
konnte es nicht bleiben. Don Cosmas war 
sich bewußt, daß all sein Bemühen auf der 
Kanzel und im Beichtstuhl und in der 
Schule Kinen Bestand habe, falls ihm nicht 
Oberbayrische Tracht. 
eine mutige, gut geleitete, katholische Presse 
zur Seite stünde. Wie fing nun Don Kosmas 
die Sache an? Man muß gestehen, sein 
Feldzugsplan war originell, er wandte sich 
an das Frauenvolk. Die Männer waren 
Soso-Katholiken. höflich als Städter, aber 
versessen auf ihre liberalen Leibblätter. Da 
wäre nichts an,»fangen gewesen. Don Cos 
mas war der Ansicht, er müsse den Teufel 
besiegen durch Eva. Sein erster Ausgang 
nach ausgedachtem Kriegsplan war z^r 
Frau eines Gemeinderates gemacht. „Guten 
Nachmittag, Frau Villar, wie geht's?" 
„Guten Tag, Herr Pfarrer." „Haben Sie, 
Madame, vom großen Eisenbahnunglück 
schon gehört, von der Entgleisung eines 
Kurierzuges der aragonischen Westbahn? 
40 Tote, 67 Verwundete. Es ist schrecklich. 
Am Ende ist es doch nicht so arg, bitte, 
gnädige Frau, holen Sie die heutige Zeitungs 
ausgabe, daß wir Bestimmtes erfahren." 
„Entschuldigen, Herr Pfarrer, mein Mann 
ist verreist, er kommt vor Mitternacht nicht 
nach Hause, und hat die Zeitung mitge 
nommen." „So, und halten Sie, Frau 
Villar, für sich selbst kein Blatt?" „Wie 
sollte ich auch, Herr Pfarrer? Wenn ich 
Neues erfahren will, so schaue ich einfach 
in die Zeitung meines Mannes; so machen 
es, denke ich, alle Frauen." „Ja, aber was 
für eine Zeitung hält Ihr Herr Gemahl?" 
„Den,Heraldo'". „Der ist aber entschieden ein 
liberales Blatt. In allen Fragen, welche 
die Schule und die Klöster betreffen, ver 
tritt der ,Heraldo' die liberalsten Grundsätze." 
„Aber, Herr Pfarrer, die Politik ficht uns 
Frauen nicht besonders an. Was uns inte 
ressiert, ist die Mode, ist die Lebensmittel 
frage, sind Ortsneuigkeiten und die Ge 
schichten des Feuilletons unter dem Strich." 
„Das tut nichts zur Sache, gnädige Frau, 
die Tendenz des ,Heraldo' ist einmal 
kirchenfeindlich; daher ist dieses Blatt von 
den kirchlichen Behörden verboten. Wie 
können Sie als ,gute Katholikin', die Sie 
sein wollen, ,so ein kirchenfeindliches Blatt 
lesen?'" „Was raten Sie mir demnach
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.