Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1919 (1919)

41 
Die Kirchenbäuerin, welche mit ihrer 
Schürze den Schnee von dem Daliegen 
den fegt, hält die Magd an den Rock 
falten fest: „Warte erst ein wenig, ich 
meine, er lebt noch — 's ist ein Soldat. 
„Der Weber-Toni ist's!" schreit der 
Kirchenbauer auf 
Eine Weile leuchtet er ihm mit der 
Laterne ins Gesicht. „Eben hat er mit den 
Wimpern gezuckt!" sagt er freudig erregt. 
Auf dem großen Ledersofa in der Stube 
wird eiligst ein Lager hergerichtet. 
„Lauf zum Pfarrer!" befiehlt er der mit 
offenem Munde dastehenden Magd. 
„Und du bringst warme Milch!" sagt 
er zu seiner Frau. 
Bald liegt Toni bequem auf das Sofa 
gebettet, in der warmen Stube. Er ist wieder 
zu sich gekommen, versucht aber die Augen 
krampfhaft geschlossen zu halten. Ein Weil 
chen gelingt es ihm. Als aber seinem Lager 
trippelnde Kinderfüßchen nahen und das 
süße Stimmlein seines Aeltesten schüchtern 
„Vater!" ruft, hebt er die Lider und heiße 
Tränen rinnen über seine Wangen. Er streckt 
den einen heilen Arm nach den Kindern aus 
— er will reden — es geht nicht. 
Die Bäuerin hält ihm die Tasse mit 
der Milch an die Lippen und er trinkt in 
langen, durstigen Zügen. Da tritt der Pfarrer 
herein. Er hat geglaubt, einen Todkranken 
zu finden, nun löst sich die Sache anderst 
Als er zum Toni sprechen will, weicht plötz 
lich der Bann, der auf diesem gelegen. Er 
findet die Sprache wieder und leidenschaft 
lich stößt er hervor: 
„Werft mich hinaus, mich und meine 
Kinder! •— Was soll ich denn in deinem 
Haus, Kirchenbauer?" wendet er sich an 
diesen. „Ich hab' dich doch immer verfolgt 
und gehaßt .... nun aber hab' ich die 
Strafe, als elender Krüppel bin ich heim 
gekommen!" 
„Als tapferer Held seid Ihr heimgekehrt, 
Toni!" verbessert der Herr Pfarrer, „und wie 
ich die Kirchenbauernleut' kenn', leben sie nach 
den Worten der Heiligen Schrift: „Tuet 
Gutes denen, die euch hassen!" Am Tage 
Eures Ausmarsches haben sie Eure Kinder 
holen lassen und seither in liebevollster Weise 
die Eltern ersetzt!" 
Nun weint der Weber-Toni wieder — 
aufrichtige Reuetränen 
„Verzeiht mir! Verzeiht mir!" schreit er 
plötzlich auf. Stumm, mit staunenden Augen 
stehen die Kinder an seinem Lager. Da tritt 
der Kirchenbauer zwischen sie und faßt nach 
Tonis Hand: 
Ein Lappe in Norwegen, mit dem Lasso ein 
Renntier fangend. 
„Die zwei da", beginnt er, nach den 
Kleinen weisend, „können wir nimmer wohl 
entbehren, mein Weib und ich haben uns 
zu sehr an sie gewöhnt. Du aber willst sie 
auch nimmer verlassen; also gibt es nur 
einen Ausweg — wir bleiben alle bei 
sammen! Auf unserem Hof findest du leicht 
eine Tätigkeit!" 
Ein fester Händedruck, ein Blick — die 
Männer sind einig.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.