Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1912 (1912)

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„Seid nur still", beruhigt sie Maria, 
„hier habe ich jedem -einen Wecken mit 
gebracht und nachher kriegt ihr auch noch 
ein Schälchen Kaffee." 
Dann geht sie hinüber in die Wohn 
stube. Dort brennt auf dem Tisch eine 
Lampe. In ihrem trüben Schein sieht man 
an der rechten Seite des Zimmers zwei 
Betten. In dem einen schlafen zwei Kinder 
von ungefähr vier und zwei Jahren In 
dem anderen Bett liegt die Mutter des 
Hauses; weiß wie Linnen ist ihr Gesicht, 
Leben hindurch nur ein großes, gutes Kind 
war, das sich in der Welt nicht zurechtfand. 
Und indem der Mann halblaut, um die 
Kranke nicht zu wecken, erzählt, wie und 
wo sich das Unglück zugetragen, spinnt 
Maria diesen Gedanken weiter: „Meine 
Mutter hat ihn ganz und gar gegängelt 
und alles regiert. Wenn er nur aus seinem 
Schusterstuhl sitzen und schaffen und sin 
nieren konnte, dann war er stets zufrieden. 
Und als sie starb/ was wäre aus ihm und 
mir geworden, wenn die gute, arme Frau 
Zum Besuche des Kaisers in Bosnien: Irr Kaiser wird im Kaiserzclt vom Würgermcister von 
Sarajevo begrüßt. 
die Augen sind geschlossen; fast könnte man 
meinen, es ist das Antlitz einer Toten. 
Neben dem Bett, den Kopf in den 
Händen vergraben, sitzt ihr Mann. Maria 
geht zu ihm und legt ihm leise die Hand 
auf die Schulter: „Guten Abend, Vater!" 
Da hebt der Mann den Kopf und schaut 
mit wirren Augen zu seiner großen Tochter 
empor. 
„Gott sei Dank, daß du endlich kommst!" 
Und als Maria das weißbärtige Ge 
sicht und die hilfesuchenden Augen sieht, 
da überkommt sie mit einem Male die leb 
hafte Empfindung, daß ihr Vater sein ganzes 
da nicht ins Haus gekommen wäre!" 
Und etwas Mütterliches ist in ihrer 
Art, wie sie danach ihren Vater zum Essen 
nötigt und ihn dann in die Kammer bringt, 
daß er sich zur Ruhe legen soll. 
„Ich will schon wachen." 
Lange sitzt das Mädchen am Bett der 
Stiefmutter. Schwer und keuchend geht der 
Atem aus und ein. Mitternacht ist vorüber, 
der fahle Frühschein erhellt mehr und mehr 
das Zimmer. Das Rasseln und Röcheln 
in der Brust der Kranken nimmt beängstigend 
zu. Plötzlich wacht sie auf, schmerzverzozen 
ist das Antlitz, wirr schaut sie um sich. Doch
	        
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