Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1912 (1912)

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ihres Lichtes sammelt, um sie auf das Haupt 
der Bergriesen zurückzuwerfen. Das ist ein 
Frühlingsabend in der Alpenwelt. 
So plaudern jetzt wieder im Lenze — 
unten am See — die heiligen Stätten und 
Buchten von Leben und Sagen aus alter Zeit. 
Ihrer Brust entlockt die Amsel den Brunn 
quell der nie versiegenden Lieder vom Tell 
und den Liedern von Schiller. Und hoch 
von oben herab blicken wieder jugendsroh 
die Fremdenschlösser von Seelisberg, vom 
Axestein und Axeufels und tauchen ihr Bild 
tief hinab in die Flut und winken ihren 
— nach der langen, bangen Winterzeit — 
o welche Wonne, welch ein Glück! Viele 
Tausende lustwandeln wieder an diesen 
Usern. Wie vergnüglich, ja wie herrlich ist's, 
an einem solchen klaren Abend auf einem 
der eleganten Dampfboote von Luzern aus 
über die Wasserfläche zu gleiten mitten hin- 
durch zwischen zahlreichen, von grünen Mat 
ten und Wäldern geschmückten Hügeln, aus 
welchen — als wär's ein Märchenland — 
in allen Stilarten Villen und Fremden 
heime hingestreut sind, schmuck und fein, zu 
deren Balköne herab der Pilatus, der Rigi, 
Bilder aus der Schweiz: Der Mürgerstock am WerrvaLdstättersee. 
Visavis, den purpurnen Gletschern in Schnee 
und Eis, über denen der Aar sich in den 
Lüften beim Gold der Abendsonne schwingt, 
wie treuliebende Bräute auch dem harrenden 
See. Durch die romantischen Plätzchen ist 
der Engel mit dem Zauberstab geschwebt 
und hat Dornröschen, das lange geschlum 
mert, geweckt und in den halbverschlafenen 
Wohnsitzen regt es sich wieder. Hier unten 
zu schiffen, in den Hainen zu wandeln, mit 
Blumen bekränzt, durch die Fluren zu ziehen, 
von den Höhen Alpenrosen, Edelweiß und 
Männertreu zu pflücken und mitzujodeln mit 
den Sennen und mitzusingen zur Schalmei 
der Schwalmis, der Titlis — eine groß 
artige Alpenwelt grüßen. Und währenddem 
die „Leuchtenstadt", das klassische Hertenstein 
und WeggiS, Vitznau, Gersau, Beckenried 
und alle die Orte um den See also in an 
mutigem Liebreiz daliegen, umwoben von 
einem unvergleichlich zarten Duft in aller 
Farbenschöne — eben recht für das Pastell 
eines Segantini —, hat die entschwundene 
Sonne einen Streifen lauteren Goldes in 
die Wollen des Sees gezeichnet. Bei solcher 
Tagesneige ist es freilich eine Poesie, dem 
Gestade entlang zu gondeln, auf ein paar 
Stunden ganz zu vergessen, daß in diesem
	        
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