Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1911 (1911)

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Auch der nächste Marterlvers stammt 
aus Amras in Tirol: 
Aufi g'stieg'n, 
Kirschen brockt, 
Abi gfall'n 
Hingewesen. 
Ganz eigenartig ist wieder ein ober 
bayerisches Marterl: 
Hier in diesen Gruben, 
Liegen., zwei Müllerbuben, 
Geboren am Chimsee, 
Gestorben am Bauchweh. 
Der Böhm ist kein Mensch, das geht 
aus folgendem Marterl in den Kaiser Tauern 
hervor: 
Im kalten Winter 1853 sind hier zwei 
Menschen und zwei Böhm erfroren. 
Aber auch den Tieren wird eine Ge 
denktafel gesetzt. So wenn es heißt: 
W-— 
Hier liegen begraben, vom Dunder erschlagen, 
Drei Schaf, a Kalb und a Bua. 
Herr, gib ihnen die ewige Ruah! 
oder an der Tuxerjochstraße: 
Hier ruhen ihrer drei, 
A Ochs, a Esel 
Und er dabei. 
Wieviel unfreiwillige Komik ein einziger 
fehlender Punkt hervorruft, zeigt folgende, 
sich an einem Feldkreuz in Steiermark be 
findliche Inschrift: 
Dieses Kreuz ist aufgericht 
Zu Ehren des Herrn Jesu Christ', 
Der für uns gekreuzigt ist 
von den Bauern dieser Gemeinde. 
Aber derartiges stößt selbst den stu 
dierten Herren zu. In der Ruine Königstein 
im Taunus steht zu lesen: 
Die Besichtigung der Ruine Ihrer 
Königl. Hoheit der Frau Großherzogin von 
Luxemburg ist dem Publikum gestattet. 
=^7 
Xtoitcv t)on St. (Ballert 
(Nachdruck verboten.) 
Da war im Kloster von St. Gallen 
Der Notker vor den Mönchen allen 
In Buch und Bibel hoch erfahren, 
Man strömte zu ihm in ganzen Scharen 
Und lauschte begierig seinem wort 
Und barg es im Kerzen als reichen Hort. 
Doch war er groß in der Wissenschaft, 
war größer der Mönch noch an Tugendkraft. 
Die Demut drückt' ihm auf den Stempel, 
Er diente allen hierin zum Exempel. 
Es hielten einmal beim Kloster an 
Der König und sein Kapellan. 
Man stellte hohe und niedrige Fragen, 
Das Mönchlein wußte Bescheid zu sagen. 
Doch stand es da so arm und schlicht, 
Als wüßte es nichts von Weisheit nicht. 
Der Kapellan begann zu scherzen, 
Dem saß die Demut nicht im Kerzen. 
„Doch sagt mir 'mal", sprach er mit Lachen, 
„was mag jetzt Gott im Fimmel machen?" 
Und Lachen scholl in ganzer Runde, 
Und alles hing an Notkers Munde. 
Der tat nicht lange sich besinnen 
Und tat sein Sprüchlein gleich beginnen, 
Ohn' seine Augen aufzuschlagen: 
„Er tut jetzt, was an allen Tagen: 
Die Stolzen stürzt er von dem Throne 
Und gibt der Demut deren Krone!" 
Das Lachen, traun, war jach geendet, 
Der böse Frager stand geschändet. 
Bald heischen König und Genoß 
vom Abt zur weiterfahrt ihr Roß. 
Schon fitzt der König fest im Bügel 
Und faßt mit sicherer Hand die Zügel. 
Der Kapellan steigt gleichfalls auf, 
Begierig gar zu stolzem Lauf. 
Doch ach, welch Unglück! — Guter Gott, 
So strafest du den Stolz und Spott l — 
Ls reißt der Bügel, der Reiter stürzt, 
Sein Hochmut wird gar jach gekürzt. 
Lr trifft im Falle den harten Stein 
Und bricht sich elend Arm und Bein. 
Das Kloster ließ den Armen pflegen 
Und flehte herab des Fimmels Segen. 
Da traf des Wunden Herz die Gnade, 
Daß er verließ des Stolzes Pfade. 
So ward er bei Notker am Leibe kuriert 
Und drinnen im Kerzen mit Demut geziert. 
Kältern (Südtirol.) 
Paul Magagna.
	        
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