Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1911 (1911)

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Wir dürfen die einfachen Versuche 
des Volkes, das eben auch feinen Kunstsinn 
hat und gern betätigen will, nicht verachten 
und bespötteln. Es steckt viel Kostbares 
darunter, was die Mühe des Sammlers 
schon verlohnt. Eine kleine Auslese von 
Sprüchlein aus Tiedts Buch und ähnlichen 
früheren Sammlungen mag das beweisen. 
Sie sind gewiß keine wertlosen oder minder 
wertigen Brocken, sie stammen alle vom 
goldenen Schatz deutschen Volksgutes, der 
uns allmählich abhanden gekommen ist und 
sind alle wichtige Beiträge zur Seelenkunde 
des Deutschen. 
Ueberall bekannt ist das selbstsüchtige 
Verslein an den heiligen Florian: 
Lieber beiliger Florian, 
Verschon' mein Haus, zünd' and're an! 
Böse Hausbesitzersnot spricht aus fol 
gendem Verslein: 
Bauen war eine Lust, 
Aber was es gekust't. 
Hab' ich nicht gewußt. 
Ein Hannoveraner Professor schickt alle 
Kritiker heim mit dem Spruch: 
Dies Haus hab ich für mich gemacht. 
Und ob auch mancher spottet und lacht — 
Ein jeder baut nach seiner Nase, 
Ich heiße Konrad Wilhelm Hase. 
Dasselbe sagt ein fester Pfullendorfer 
Bauer: 
Mir g'fällts so! 
Und ein derber „Vexierspruch" aus 
Herrischried im Schwarzwald läßt den 
müßigen Gaffer gehörig abfahren: 
Ich Aff', steh und gaff 
Und derweil ich gaff und steh, 
So könnt ich weitergeh! 
Am unmittelbarsten äußert sich der 
Volksmund auf Grabschriften. Unfrei 
willige Komik und köstliche Naivität gibt 
es hier in Menge. So 
wenn es heißt: 
„Hier ruht Maria Bogen 
finder, 
Mutter und Nätherin dreier 
Kinder." 
Ein Grab an der 
Kitzbühler Ache in Tirol 
trägt die Inschrift: 
„Hier leit die ehren 
geachtete und tugendsame 
Jungfrau Genoveva Woggen- 
huberin, tief betrauert von 
ihrem einzigen Sohn." 
Nur auf Ungeschick 
lichkeit des Verfassers oder 
vielmehr des Verfertigers 
der Grabschrist beruht 
die Komik in folgendem 
Nachruf: 
Hier ruht der Schneider 
Brenner, 
Zu früh trank er den bittern 
Kelch des Lebens aus. 
Die Grabinschrift muß sich reimen, 
wenn sie schön und erbaulich sein soll. 
Darum heißt es: Reim' dich oder ich freß' 
dich: 
Hier liegt Hans Gottlieb Lamm, 
Er starb durch einen Sturz vom Damm. 
Eigentlich hieß er Leim, 
Das paßt aber nicht in den Reim. 
Ein „Dichter" im oberen Jnntal stellt 
da einfach die Worte um: 
Hier liegt der Herr Melcher, 
Pfarrer gewesen ist welcher. 
Sterben muß jeder, das ruft der Tote 
sogar aus dem Grabe heraus: 
Heute an mir, morgen an dir die Reih, 
Den Tod frißt ein jeder mit dem ersten Brei. 
Gin Aomvardcment auf den Schneemann.
	        
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