Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1911 (1911)

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Franz! und lernte seinen Katechismus. Die 
zehnjährige Waberl blätterte in der biblischen 
Geschichte; sie hatte ihre Ausgabe für die 
morgige Religionsstunde schon gut im Ge 
dächtnis. Aber auch der Franzl war jetzt 
über seinen Teil glücklich Sieger geworden, 
denn er sagte zur Mutter und reichte ihr 
das Büchlein hin: 
Bilder aus Dberösterreich: Katvarrmöerg in Ischt. 
„Bitt' schön, ausfragen wenn mich die 
Mutter tät." 
Die Mutter nahm wohl den Katechis 
mus zur Hand, aber sie hielt sich durchaus 
nicht sehr genau an die darin enthaltenen 
Fragen, sondern das geweckte Büblein mußte 
so ziemlich alles erzählen, was es von der 
Erschaffung der Welt, von der Erlösung der 
Menschen, von der Himmelsmutter, vom 
lieben Gott und dem holden Christkindlein 
wußte. Es war gar nicht so wenig, und dabei 
sah Franzl den Vater mit seinen klaren 
Augen so treuherzig an, daß in diesem ganz 
eigene Gefühle erwachten. Ganz neu und 
unbekannt waren sie ihm. Jetzt war er doch 
schon so lange Gatte und Vater, und nun 
war ihm zu Mute, er erfahre es in dieser 
Stunde erst, was es heiße, Kinder, liebe 
leibeigene Kinder zu haben, Geschöpfe mit 
weichen empfänglichen Herzen, die man bilden 
konnte, die man zum Guten oder Bösen zu 
leiten vermochte, die man sich heranzog, zur 
Freude oder zum Leid. 
Nach dem Examen des Franzl nahm 
die Mutter die Werktagskleider ihres Mannes 
zur Hand. Verschiedene Nähte waren geplatzt 
und da und dort mußte ein Flicken einge 
setzt werden. Und während die fleißige Frau 
emsig mit der Nadel hantierte, schaffte sie 
der Waberl das Vorlesen an. Aus der bib 
lischen Geschichte, was sie just aufgeschlagen 
habe. 
Es war die Parabel vom verlorenen 
Sohne. 
Der Vater mit seinem weichgewordenen 
Herzen hörte aufmerksam zu, und obwohl 
er nun schon seit einem Dutzend Jährlein 
als hausgesessener Bauer seinen Hof regierte 
und ihm auch als lediger Bursche doch nie 
mals eingefallen war, aus dem elterlichen 
Hause davonzulaufen, brachte er doch die 
Empfindung nicht los, daß diese Geschichte 
ganz eigens für ihn geschrieben sei und er 
just heute im Begriffe stehe, wieder aus 
fremden Landen heimzukehren. 
Nach beendigter Vorlesung erlaubte die 
Mutter den Kindern, vor dem Hause zu 
spielen, und wenn sich etwa der Mitterlehner 
Ferdl dazugesellte, so sollten sie ihn nur mit 
halten lassen, aber wenn der Große, der Lenzl, 
käme, dann sollten sie es alsogleich melden. 
„Weißt, Mann", erklärte die Bäuerin, 
als die Kinder draußen waren, „der Lenzl 
ist soviel ein unguter Bub, von dem unsere 
Kleinen nichts Gutes lernen. Wenn er 
herüberkommt, schau' ich immer, daß ich 
ihn auf gute Manier wieder losbringe. Ich 
will ihn nicht geradezu vor den Kindern 
verschimpfen, denn man bringt so leicht Ge 
hässigkeit zwischen sie und verfeindet sich 
überdies noch mit den Nachbarn." 
Der Hochlehner dachte, was doch sein 
Weib für eine Kluge sei und wie besorgt
	        
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