Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1911 (1911)

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gewöhnlich um diese Stunde eine feierliche 
Segenmesse gelesen werde, wurde das Predigt- 
ied angestimmt. Und an den Hochaltar trat 
nicht der Pfarrer im sonntäglichen Meß 
ornat, sondern ein Missionär bestieg in 
Röchet und Stola die reichgeschmückte Kanzel. 
Der Mitterlehner saß ziemlich weit vorne, 
zwischen seinen Nachbarn eingekeilt wie ein 
Pökelhering in der Tonne, und hätte, ohne 
gewaltiges Aufsehen zu erregen, die Kirche 
nicht verkästen können. So wurde er wider 
schieden seien, sträubte sich sein ganzes Emp 
finden schon von Vorneherein gegen diese 
Predigt, wie ein Igel die Stacheln sträubt, 
wenn er einen Angriff wittert. 
Der erste Teil des geistlichen Vortrages 
war übrigens für den Mitterlehner nicht 
aufregend. Es wurde darin den Zuhörern 
die Pflicht an das Herz gelegt, jeden Sonn 
tag eine heilige Messe zu hören und der 
Predigt beizuwohnen. 
Das tat er ja doch, der Mitterlehner 
Bilder aus Gberösterreich: Meue Ausnahme des Aöstkingöcrges öer Linz. 
Phot. Schwarz, Linz. 
Willen zu dem Bruche seines Schwures ver 
urteilt. Er seufzte ganz laut über diese Tücke 
des Schicksals, aber daß er dabei auch 
wütend mit den Zähnen knirschte, kam doch 
niemand zu Ohren. 
Der Priester hatte das Thema gewählt: 
„Heilige den Sonntag!" 
Da horchte der Mitterlehner auf. Die 
Verwendung seiner Sonntage war ein Ding, 
wo er sich um keinen Preis von irgend 
einem Menschen etwas sagen ließ. Und da 
er mit gutem Grunde annehmen konnte, daß 
die Ansichten des Predigers und seine eigenen 
über die Feier der Sonntage ziemlich ver- 
ei gewiß, jahraus, jahrein. Er -ging jeden 
Sonntag in die Messe und wenn ihn unter 
wegs keiner aufhielt und auch die Bäuerin 
mit dem Auftragen der Morgensuppe nicht 
säumig war, kam er immer noch zu dem 
größten Teil der Frühpredigt zurecht. Da 
konnte er dreist alle Pfarrbewohner als 
Zeugen anrufen. 
Aber jetzt kam ein anderer Abschnitt an 
die Reihe und in diesem hieß es, daß es 
sehr löblich, heilsam und gottgefällig sei, an 
Sonntagen auchdem Nachmittagsgottesdienste 
beizuwohnen. Dieser Mahnung folgte der 
Nachsatz, daß übrigens eine hier begangene
	        
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