Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1904 (1904)

Hinaus mußte Leuchen beizeiten, um sich 
in der strengen Zucht genauer, erfahrener 
Frauen die nötige Eignung zu einer braven, 
geschickten Hausmagd vom Grund aus zu 
erwerben. 
»Dann kommt sie schon fort," dachte die 
Mutter, „denn brauchbare Mädchen finden, 
besonders heutzutage, wo gerade an solchen 
kein Ueberfluß herrscht, allenthalben die ein 
träglichsten Posten." 
Wie ernst Frau Walter diesen Lebensplan 
für ihr Kind erfaßte, zeigte wohl am besten 
die Sorge, mit der sie eifrig bemüht war, 
schon lange, bevor Lene die Schule verließ, 
ihr ein passendes Plätzchen zu sichern. Das 
selbe fand sich, ohne allzugroße Mühe in 
nicht zu langer Zeit und eigentlich ganz den 
gehegten Wünschen entsprechend. 
Eleonore Frank, die seit ihrer frühesten 
Jugend immer in wohlhabenden Bürgers 
häusern zur vollsten Zufriedenheit ihrer 
Herrschaften gedient und zuletzt einen größeren 
Pfarrhaushalt verwaltet hatte, war seit kurzem 
mit dem ersten Schreiber von einem Ad 
vokaten vermählt. Um nun in ihrer Häus 
lichkeit eine kleine Beihilfe zu haben, wollte 
sie ein junges Mädchen, geradenwegs aus 
der Scbule her, in ihre Dienste nehmen. 
Frau Walter erfuhr dies und wurde bald 
handelseinig mit der jungen Gattin des 
Schreibers Tauner, der die kleine Lene 
durchaus nicht unbekannt war. 
„Ei ja," meinte sie freundlich, „ich werde 
das Mädchen schon ziehen und ihm recht 
gerne die erste Anleitung zu allem geben, 
was in einem geordneten Hauswesen billig 
verlangt wird, damit es dann, älter ge 
worden, diese Kenntnisse in größeren Wirt 
schaften erweitern und vervollständigen kann." 
Lene war seit Wochen an den Gedanken 
gewöhnt, nach ihrem Schulaustritt zu Frau 
Tanner zu kommen, und nach Kinderart 
jede Abwechslung liebend, freute sie diese 
Veränderung sehr. Zudem fing auch der 
Schulbesuch an, ihr ein wenig sauer zu 
werden, umsomehr, da ihr Freundschafts 
bündnis mit den Lehrbüchern der verschiedenen 
Fächer kein besonders inniges war. In Haus 
und Küche herumzugeschäfteln bot für die 
Kleine seit jeher unendlich mehr Reiz und 
sie jubelte bei dem Gedanken, daß dies jetzt 
bei Frau Tanner ihre einzige Ausgabe war. 
O mit welch' munteren Sätzen sprang 
sie zum letztenmale den Schulweg daher und 
wie hell und freudig klang heute ihr Gruß, 
doch als sie in der nächsten Minute die 
Stube betrat und sah, wie sich die Mutter 
vergeblich bemühte, den aufsteigenden Tränen 
zu wehren, überzog sich auch das lachende 
Kindergesicht mit düsteren Schatten. Ach ja, 
die Lene wußte gar wohl, warum die Mutter 
so traurig sei, sie blieb ja einsam zurück. 
Und mit schmeichelnden Worten nahte sich die 
welche der nun verstorbene heilige Vater zum j)apst- 
jubiläum erhielt. 
Kleine der weinenden Frau. „Ach geh', 
Mutter, mach' kein so betrübtes Gesicht; 
schau, mich freut es so sehr, daß ich nicht 
mehr die Schule besuchen muß und dafür 
der Frau Tanner beim Kochen, Waschen, 
beim Abspülen und derlei Arbeiten helfen 
kann. Und weißt, Mutter, sie hat auch gesagt, 
daß ich jeden Sonntag Nachmittag zu dir 
kommen darf. Da geh'n wir dann zusammen 
spazieren und ich erzähle dir, was ich 
der vergangenen Woche erlebte und was 
schon alles gelernt. Und nachher kochst
	        
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