Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1904 (1904)

Splitter auseinander flogen. Das Mädchen 
aber sank zu Boden. 
Wie Vestl die steile Felswand herab kam, 
er wußte es nicht. Er wußte nur, daß er 
Vroni in seinen Armen hielt. Bleich wie 
eine Tote lag sie an seiner Brust. 
„Vroni, ich bin bei dir, der Vestl. Mach 
doch die Augen auf und schau mich an!" 
Das Mädchen regte sich nicht. Eine tiefe 
Ohnmacht umfing sie. Der Bursche rieb ihr 
Stirn und Schläfen 
mit Wasser, das vom 
Felsen herabrieselte 
und rief sie mit allen 
zärtlichen Namen, um 
sie zu erwecken. End 
lich bewegte sich die 
Hand, und Vron 
schlug die Augen auf. 
„Vestl!" flüsterte 
sie und all' ihre Liebe 
lag in diesem einen 
Worte. Sie wollte 
sich aufrichten, sank 
aber mit leisem 
Stöhnen wieder zu 
rück. 
„Der Fuß, Vestl, 
der Fuß!" 
Erschrocken beugte 
sich der Bursche über 
sie: „Hat dich leicht 
ein Baumast troffen, 
als der Blitz neben 
dir einschlug?" 
„Wird wohl so 
sein. Ich hab' nur 
ein' Kracher g'hört, 
dann weiß ich nichts mehr." 
Sie zog den Schuh aus, und da sahen 
sie eine große, tiefe Wunde, welche ihr der 
mit aller Wucht entgegengeschleuderte Ast 
verursacht hatte. 
„Armes Kind, tut's recht weh?" 
Das Mädchen verneinte, konnte aber nicht 
verhindern, daß ihr der Schmerz die Tränen 
aus den Augen preßte. 
„Aber sag' mir g'rad, Vroni, wo hast 
denn hin wollen bei dem Wetter?" 
Das Mädchen lächelte schmerzvoll. „Kannst 
dir's denn nicht denken, Vestl? Zu wem 
sonst hätt' ich wollen als zu dir? Ich wär' 
fortgegangen bis ans End' der Wett. Einmal 
hätt' ich dich ja doch finden müssen." 
„So viel gern hast mich, Vroni? Weißt 
aber auch, daß mich der Vater fortg'jagt 
hat aus sein' Haus wie einen schlechten 
Menschen? 
Das Mädchen nickte. „Ich weiß es, und 
trotzdem glaub' ich fest, daß unsere liebe 
Frau hilft. Sie ist mir jetzt so wunderbar 
beig'standen,daß mich 
der Blitz nicht troffen 
hat, sie wird uns 
auch weiterhin nicht 
verlassen. Ich fürcht 
mich gar nimmer, 
daß der Vater »nein« 
sagt." 
„Mach dir kein' 
Hoffnung, Vroni! 
— Am besten ist, ich 
bring' dich jetzt heim 
und dann — dann 
heißt's Abschied 
nehmen voneinander 
für immer. Ein 
zweitesmal tät' ich 
die Schand' nimmer 
ertrag'n, fortg'jagt 
zu werden." 
Vestl's Gestalt 
zitterte vor Schmerz 
und Vroni fuhr be 
schwichtigend über 
sein reiches, braunes 
Haar. 
„Red' nicht so, 
Vestl! Vertrau mit 
mir auf unser liebe Frau!" 
Die wenigen Stunden des Vorwurfes 
und der Sorge hatten aus dem Lenzbauern 
einen um Jahre gealterten, gebrochenen 
Mann gemacht. Dumpf brütend saß er in 
der Stube, als es an der Tür klopfte. 
„Aufmachen!" rief eine bekannte Stimme. 
Dem Bauern war es, als lege sich eine 
eiskalte Hand auf das Herz, um es stille 
zu machen. „Sie bringen dir dein Kind — 
das du in den Tod getrieben hast." 
Mühsam schleppte er sich zur Tür, schob 
Vestl steht entsetzt vor der am Boden liegenden Vroni.
	        
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