Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1904 (1904)

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mendes Sehnen, sehnendes Schwärmen, halb 
lautes Begehren, schwelgen nach Wonne und 
Genuß, so rauschen und flöten die Klänge 
der Musik, die Sprache jener sprechend, die 
im leichten Fluge unter den Lichtern Hin- 
schweben. 
Lina! Was suchst du hier, spricht das bleiche 
Bild im Spiegel der Fremden zu. Sie ist 
fremd und freudlos. Wohl zieht auch sie 
der Tanz in seine Woge hinein, doch sie 
stünde lieber draußen in der Wiuternacht, 
die ihr Schneeflocken auf die Silbersterne 
des Ballkleides sinken ließe. 
So sinnt sie, bis der heitere Tanz sie in 
die Arme zieht und fortreißt zu eitler Lust. 
Das Kleid rauscht und glänzt und vor ihren 
Augen fliegen die Spiegelwände vorüber und 
ihr ist, die Spiegel und Lichter würden ein 
Glanz und Licht, der Thron Gottes, den 
sie geschaut im Traum. 
Daß sie dort hinknien könne, anbetend 
in das Auge Gottes zu sehen und die Güte 
des Herrn zu preisen. 
Doch der Tanz reißt sie fort, tiefer und 
tiefer hinein in die Wogen der Lust. Vor 
ihrem Auge sieht sie nur Licht an Licht, das 
zu einem Lichte wird, groß und hell . . . 
Der Thron Gottes. 
So hat sie geträumt, so träumt sie wa 
chend wieder. 
Ermüdet sinkt sie nieder in die weichen 
Polster des Sofas, das unter einer lau 
schigen Palmengruppe im Nebensaale bisher 
noch von keinem Tänzer aufgesucht worden 
war. Sie ist die erste, die Ruhe und Schlum 
mer suchend hieher flüchtet, sie ist in der 
ersten Stunde schon müde, da noch alle anderen 
erst angefangen zu genießen. Sie fühlte die 
Last, die sie auf sich genommen, da sie zu 
gesagt, zum Feste zu gehen. Der Mutter 
zulieb hat sie es getan, nur ihretwillen. Wie 
wird sie morgen müde sein! Und doch ist 
alles noch gut, weil nur der nicht kommt, 
dem sie die Hand reichen sollte und 
nicht wollte und nicht durfte und 
doch sollte. 
Um sie ist es ruhig, vom Saal heraus 
dringen gedämpft die Weisen des Tanzes. 
Wenn doch auch diese schwiegen und lauter 
reine Stille und Friede um sie weilte und 
kein Menschenhauch ihre Seele störte im 
Schlummer, nach dem sich die Müde sehnte 
mit ganzer, voller Sehnsucht. Leiser und leiser 
klang die Musik für Lina, sie schlummerte 
ein. Ueber ihr hielten die Palmen Wacht, 
daß niemand käme, sie zu stören. Ganz stille 
ward es, der Traum senkte sich auf die Lider 
und der Traum war so kalt wie kältestes 
Eis und so leblos wie der Tod. Lina träumte 
den Tod. 
Der Traum der Nacht kam über sie und 
sie sah sich im Sarge liegen. Um den Sarg 
standen die hohen Leuchter mit Kerzen, die 
unheimlich flackerten und bleiches Licht auf 
sie warfen. Menschen kamen und gingen, die 
Tote zu sehen, Bekannte, Unbekannte. 
Es kamen Freundinnen der Jugend, Ge 
schwister, die Mutter. Heute weint die Mutter. 
Im schwarzen Trauerkleide war sie zum Sarge 
getreten und schaut hinein in die halboffenen 
Augensterne der Toten. 
Dies alles schaut die Schlummernde im 
Traume. Sie fühlt sich starr, will sich be 
wegen, fühlt sich tot und doch lebt sie, alles 
zusehen. 
Lange kommt niemand mehr zum Sarge. 
Es wird Abend. Die Menschen suchen Freude, 
nicht die Toten. Es ist Faschingszeit. Der 
Mensch muß seine Zeit haben, in der er ver 
gißt, ernst sein zu können und verlernt, 
ernst zu sein. 
Lina will die Augensterne heben, weiter 
Ausblick zu halten. Sie ist starr und kann sich 
nicht regen. Festgebannt ist sie in den Sarg, 
ist tot und sieht doch alles: Der Traum. 
Da öffnen sich die Vorhänge des Toten 
gemaches, unter denselben tritt ein junger 
Mann ein mit gleichgiltiger Miene, nähert 
sich dem Sarge, Lina kennt ihn, er ist es . . 
Sie will sich erheben, sie ist tot. Sie 
will ihn wegweisen, sie kann es nicht. Sie 
nimmt alle Kraft zusammen, im Sarg sich 
aufzurichten, sie erhebt sich im Sarg . . . 
Sie erwacht. 
Vor ihr steht Erwin im Salonanzug des 
Tänzers. 
„So bald schon müde, Baronesse?" 
Sie zittert. Es nähert sich die Baronin, 
ihr Blick befiehlt. 
Lina wandelt halbträumend in den Saal. 
Sie will zurück und vorwärts. Wohin geht 
sie, wohin will sie? Ihr ist noch, sie müsse
	        
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