Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1902 (1902)

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Dorfschneiderin zu sich in ihr Zimmer, und 
diese musste das Kleid genau nach ihrer 
Angabe machen. Es sollte kein gewöhnlicher 
formloser Bauernkittel sein. 
Der Frohnleichnamstag brachte sonniges 
Wetter; Regine besah sich den Zug, und 
ihr kinderweiches Poetenherz wurde durch 
die ergreifende Feier zu den edelsten Gefühlen 
erhoben. Als sie dann ihr Katherl erblickte, 
wie es voll Anmuth mit den anderen gieng 
und in ihrem Staate kaum zu erkennen 
war, füllten sich ihre Augen urplötzlich mit 
Thränen. Sie musste an des Kindes Zukunft 
denken, und es war ihr mit einemmale 
zumuthe, als ob sie mit der Schenkung des 
weißen Kleides, das Katherls Körper be 
deckte, nun auch die Verpflichtung über 
nommen hätte, für das weiße Kleid ihrer 
Seele zu sorgen, dass es rein bleibe von 
dem Schlamm der Schuld und Sünde. 
Was würde aus dem Kinde werden? 
— Wenn die Mutter starb, nahm der Mann 
ohne Zweifel seine fahrende Lebensweise 
wieder auf, und natürlich das Kind mit 
ihm. Allen möglichen schlechten Einflüssen 
war es da schutzlos preisgegeben, die es 
wohl immer weiter nach abwärts führten 
und endlich sein Verderben besiegeln mussten. 
.Aber es soll nicht verderben!" — Re 
gine sprach es fast laut, so lebhaft hatte 
sie der Gedanke erfasst, diese noch unent- 
weihte, vielversprechende Menschenblume in 
gesunde, reine Erde zu verpflanzen und voll 
Sorgfalt ihr Gedeihen zu fördern. 
Ja, Regine wollte das Kind mit sich in 
ihre städtische Heimat nehmen, es als ihr 
Eigen erziehen und somit das Glück seines 
Lebens begründen, sich selbst aber eine treue 
Gefährtin schenken. 
III. 
Zwei Tage nach Frohnleichnam starb 
die Grubhoferin. 
Katherl war eben in der Schule und 
Regine nahm sie nach ihrer Heimkunft so 
gleich zu sich in ihr Zimmer hinauf und 
war herzlich froh, dass ihnen beiden der 
Anblick des sterbenden Weibes erspart ge 
blieben war, denn sein Verscheiden hatten 
schwere, qualvolle Kämpfe begleitet. 
Der Mann that höchst wild und auf 
geregt. Er hatte nicht gewollt, dass man 
für die todkranke Frau einen Priester hole, 
und als man sich an seinen Willen nicht 
kehrte, lief er scheltend aus dem Hause hinaus. 
Erst spät am Abend, als die Frau schon 
aufgebahrt lag, kehrte er mit schwerem Kopfe 
und lallender Zunge wieder zurück. 
Der Anblick seines todten Weibes traf 
den Mann wie ein zündender Schlag. Er 
tobte während der Nacht und auch noch am 
folgenden Tage wie ein Unsinniger im Hause 
herum, ließ niemand zur Leiche hinein und 
wurde erst ruhig, als Katherl erschien, welche 
dringend gebeten hatte, den Vater zu sehen. 
Grubhofer blieb jetzt sanft wie ein füg 
sames Kind, und die erschreckten Frauen 
athmeten erleichtert auf. Frau Heider hatte 
übrigens in das nächste Dorf nach dem 
Sohne ihres Bruders geschickt; das war ein 
junger, baumstarker Mensch, der musste im 
Hause bleiben, so lange Grubhofer darin 
noch die Wohnung behielt. 
Nach dem Begräbnisse wollte ihm die 
Frau erst sagen, dass er möglichst bald aus 
ziehen müsse. Sie fürchtete sich ein wenig 
darauf, und jedenfalls musste der Nr sie 
dabei sein. 
Reginens Entschluss, die Kleine mitzu 
nehmen, war durch die letzten Vorkommnisse 
nur noch mehr gefestigt worden, und Frau 
Heider stimmte ihr vollkommen bei, denn 
man konnte doch um keinen Preis diesem 
Säufer, diesem rohen, glaubenslosen Menschen 
das Kind überlassen. Gar nicht zu ver 
antworten wäre ein solches Gebaren. 
Und der Grubhofer musste doch froh 
sein, wenn ihm so ein unnützer Brotesser 
nicht das weitere Fortkommen hinderte, und 
wie wohl würde es der Katherl erst thun, 
wenn sie zukünftig in geordneten Verhältnissen 
lebte, und das unstete, fahrige Leben ein 
Ende hätte. Die Trennung vom Vater 
würde sie leicht überwinden; es liegt dem 
Kinde die Elternliebe nicht so im Geblüt, 
anerzogen und erworben muss sie erst werden 
und damit hatten sich Katherls Vater und 
Mutter wahrlich keine besondere Mühe ge 
geben. 
Hinter dem Sarge der Grubhoferin 
giengen nur wenige Leute. Regine hätte
	        
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