Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1902 (1902)

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Sein guter Gngel. 
egine Hallary war nicht 
nur eine gesuchte 
Mitarbeiterin ver 
schiedener, vielge 
lesener Tagesjour 
nale, sondern hatte auch 
in rascher Aufeinander 
folge mehrere selbständige 
Werke von wirklich litera 
rischem Werte geschrieben, und besonders der 
vergangene Winter war reich an geistiger 
Arbeit für die Dame gewesen. 
Nun aber verlangten Körper und Geist 
dringend nach ergiebiger Rast, und Regine 
wollte ihnen dieselbe, ferne von dem Getriebe 
der Großstadt, auch in reichstem Maße ver 
gönnen. Und obschon sie sonst gewohnt ge 
wesen war, die schöne Jahreszeit in irgend 
einer modernen, luxuriös eingerichteten 
Sommerfrische zu verleben, vermied sie 
solche Orte heuer mit Absicht und zog sich 
in den Geburtsort ihrer verstorbenen Eltern 
zurück, um vor allem Ruhe und Einsamkeit 
genießen zu können. 
Beides hoffte sie durch die getroffene 
Wahl in genügender Weise zu finden, denn 
Riedeck war ein stilles, weltfernes Dorf, 
das noch nie einen Fremden zu längerem 
Aufenthalte angelockt hatte. 
Auch Reginens Dienerin war in der 
Stadt zurückgeblieben, denn die Herrin 
glaubte, ihre Hilfe entbehren zu können. 
Die Essensfrage wurde ja von der gefälligen 
Hauswirtin in befriedigender Weise gelöst, 
und im übrigen wollte sich das Fräulein 
einmal ganz allein zurechtfinden lernen. 
Von Therese Rak. 
Doch da hatte die gute Dame ihr 
. Können und Gewöhnen ganz und gar über 
schätzt und kam sehr bald zur Erkenntnis, 
dass sie doch eigentlich ein recht verwöhntes 
Dichterfräulein geworden sei und mit den 
einfachsten häuslichen Handgriffen nicht ohne 
bedeutenden Aufwand von Zeit und Mühe 
zurechtkommen könne. 
So stand Regine auch jetzt, nachdem 
sie einen längeren Spaziergang beendet hatte, 
seufzend in ihrer hellen, freundlichen Stube. 
Sie bewohnte dieselbe bereits volle drei 
Tage, aber das im übrigen bequem ein 
gerichtete Gemach bot noch keineswegs das 
Bild eines nett aufgeräumten, wohnlichen 
Heims. 
Der Koffer stand halb ausgepackt mitten 
auf der Diele; Kleider, Wäsche, Hüte, 
Handschuhe, Bücher und die verschiedensten 
Toilettegegenstände lagen zerstreut auf Tischen 
und Stühlen umher. 
Dichter Staub bedeckte die Möbel, und 
die gestern gepflückten Feldblumen hatten 
vergeblich auf die versprochene Labung 
gewartet Sie lagen verwelkt auf der breiten 
Waschkommode, die noch ganz deutlich die 
Spuren der erfolgten Morgenwaschung 
verrieth. 
Die Kanne mit der Tasse und das 
Blechpfännchen vom Frühstücksthee, den 
Regine selbst auf dem Spirituskocher bereitete, 
standen noch ungespült auf dem Tische, und 
es war nicht weniger als fünf Uhr nach 
mittags. 
Wieder seufzte Regine, als sie noch 
einmal ihre Blicke über das bunte Chaos
	        
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