Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1901 (1901)

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Ein Pfiff — und fort gings von der 
öden Bahnhofsstätte mit ihren übelduftigen 
Kohlenschichten und zwischen wüstem Kiesel 
eingebetteten Wechseln und Geleisen in die 
üppige Landschaft hinaus. 
Der miteingestiegene Herr, ein höherer 
Beamter, den die Zeitströmung nicht an 
focht, hatte offenbares Interesse für die 
beiden angehenden GebirgSkapläne und er 
kundigte sich angelegentlichst um Nationale 
und Bestimmung. 
Es klang wie ein Vorwurf, als er sich 
an den Professor mit der Frage wandte, 
warum man denn für so „strapazierliche" 
Posten nicht ältere, etwa in den Dreißigern 
stehende Männer verwende, die erfahrener 
und ausdauernder seien als blutjunge Treib 
hausblüten. 
„So zart sind nun meine beiden jungen 
Herren nicht!" meinte der Professor und 
die Beiden lächelten. „Man macht eben die 
Erfahrung, dass gerade die Erstlinge der 
Priesterschaft auch hochgehenden Ansprüchen 
bezüglich der Leistungsfähigkeit sehr wohl 
entsprechen können. Sie führen die kräftigen 
Impulse der Lebensideale mit sich, haben 
noch keine Gelegenheit gehabt, Vergleiche 
anzustellen, und nehmen ihre erste Condition 
als die beste, weil sie keine andere kennen." 
,,Freilich," fuhr er fort, „gewisse Vor 
sichtsmaßregeln und Rathschläge dürfen 
nicht fehlen und werden solche auch den 
jungen Leuten vor ihrem Abgänge aus dem 
Seminar an die Hand gegeben." 
„Das erlaube ich mir nicht anzu 
zweifeln!" erwiderte der Herr. „Allein das 
praktische Leben muss sich Jeder selbst zu 
rechtlegen und die Erfahrung hat ihre 
besondere Geltung!" 
„Allerdings!" sprach der Professor. 
„Aber man kann auch die Erfahrung an 
derer benützen!" 
Der Herr schien versucht, auch hier et 
was zu erwidern. Wenn er es unterließ, 
so geschah es sicher, um die Schüler im 
Respect vor ihrem Lehrer zu erhalten. 
„Ja, meine jungen, lieben Freunde," 
fuhr der Professor, zu den beiden Kaplänen 
gewendet fort. „Es gibt mancherlei, was 
ich Ihnen noch besonders ans Herz legen 
möchte. Vieles haben wir ja an anderer 
Stelle miteinander besprochen, aber das 
Leben ist so unendlich mannigfaltig in seinen 
Beziehungen und Anlässen, dass man kaum 
für alle Fälle gerüstet ist. 
Viele junge Herren lassen namentlich 
die Vorschriften bei Provisuren und Kranken 
gängen unberücksichtigt und verstoßen ent 
weder gegen das Decorum oder bringen 
ihre Gesundheit in Gefahr." 
Der joviale, gutmüthige Herr Professor 
war bei diesen Worten ernst geworden. 
„Ich möchte Sie bitten," fuhr er fort, „bei 
Versehgängen sich zu tragen wie beim Gang 
in die Kirche: barhäuptig, im Talare, mit 
Schuhen und Strümpfen!" 
Hier machte der freundliche Mitreisende 
unwillkürlich eine abwehrende Bewegung. 
Der Professor hatte sie bemerkt. 
„Es wird so ziemlich in allen Fällen 
möglich sein, dieser Vorschrift nachzukommen," 
betonte er. 
„Herr Professor haben doch nur in der 
Stadt praktiziert," erlaubte sich der Herr 
einzuwenden. „Da gibt es natürlichen Schutz 
gegen Sonnenbrand, Sturm und Unwetter 
durch die Straßenwände; man hat Trottoirs, 
Beleuchtung und kleinere Entfernungen!" 
»Zugegeben!" fiel der Professor ein. 
„Ich rede auch nur von der Regel. Aus 
nahmsfälle mögen ja hin und wieder ein 
treten! — Vergessen Sie auch nicht auf 
die Schutzvorschriften gegen Ansteckungs 
gefahr!" fuhr er fort. „Treten Sie nie vor 
das Bett des Kranken, ohne vollständig ab 
gekühlt zu sein. Trinken Sie namentlich kein 
Wasser an Ort und Stelle!" 
Ein gellender Pfiff unterbrach seine 
Unterweisung. Das Gebirgsstädtchen war 
erreicht. Der Professor reichte noch Beiden 
wohlwollend die Hand und sein Begleiter 
flüsterte noch dem Einen ins Ohr: 
„Sie wissen doch, was ein gewisser Herr 
von Goethe von Theorie und Praxis sagt?" 
Der Betreffende nickte lächelnd. 
„So werden Sie sich zurechtfinden 
A Dieu!“ 
II. 
Die Beiden hatten sich nunmehr der 
k. k. Post anvertraut, die sie langsam dem 
Gebirge näher brachte.
	        
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