Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1901 (1901)

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immer, sie wispelten: „Guten Morgen, alter 
Diurnist." Ein wenig Fieber steckt gewiss 
noch in mir. — Ueber mir leuchtete der 
blaue Himmel herab, in den wunderbaren 
Frieden der Natur. — Ja, dieser Frieden 
ist nicht für dich, armer Diurnist, dachte 
ich mir. Du musst wieder zurück in den 
Rauch und Staub der Großstadt, in deine 
Dachstube, um dort zu ersticken — zu 
sterben." 
„Deine Dachwohnung ist schon längst 
vergeben, deine zwei lieben Nachbarinnen sind 
auch ausgezogen, nachdem sie sich vorher 
unter vier Augen in die Haare gerathen 
sind," sagte Holzer lächelnd, „doch, ich will 
deinen Magen, der ohnedies noch schwach 
ist, nicht mit Enzian und Mermuth ver 
bittern, sondern dir reinen Mein einschenken, 
der deine Nerven stärken wird. Moser, du 
bleibst da, zeitlebens, du und deine Familie." 
„Da, auf dem Landhause?" fragte 
Moser, vor Ueberraschung sichtlich ergriffen.. 
„Jawohl, bist unumschränkter Hausherr, 
führst mir aus Zeitvertreib im Winter und 
bei Regenwetter die Wirtschaftsbücher, 
deine Frau wird wohl einverstanden sein 
mit dem Antrag?" 
„Gewiss, Herr Holzer, und das mit 
dem herzlichsten Danke für eine so edle 
That," siel Frau Moser ein. 
„Und Fräulein Rosa muss hier in stiller 
Zurückgezogenheit Buße thun für die Mode 
sünden," lachte Holzer. 
„Wohl die leichteste, die Sie mir auf 
erlegen, geehrter Herr," entgegnete Rosa; 
»meine Thorheit hat eine schwerere ver 
dient." 
„Von der Advocaturs-Kanzlei desDoctor 
Fernau kommt allmonatlich an den gewesenen 
braven Diurnisten und treuen Cassier Moser 
der bisher bezogene Gehalt als lebensläng 
liche Pension auf Postwegen ins Landhaus," 
sagte Fernau. „Ich kann es jetzt thun, da 
mir eine Tante, die kürzlich verstorben, ein 
bedeutendes Vermögen hinterlassen hat, 
während es mir früher der großen Con- 
currenz in unserem Stande halber nicht 
leicht möglich war, Ihre Stellung zu ver 
bessern. Hier ist auch die silberne Dose 
wieder zurück, die Sie in meiner Abwesen 
heit an jenem Unglücksabend der Köchin als 
Faustpfand für das nicht vorhandene Deficit 
(Fehlsumme) hinterlassen haben." Bei diesen 
Worten zog Fernau einen Brief aus der 
Tasche. 
„Herr Doctor, nehmen Sie meinen 
herzlichsten Dank entgegen, ich kann fast nicht 
an mein Glück glauben, es ist zu groß", 
entgegnete Moser, seinem ehemaligen Herrn 
beide Hände entgegenstreckend. 
„Ich konnte ja auch nicht an Ihre Un 
treue glauben, aber dieser Fuchs suchte Sie 
als Opfer aus," sagte Fernau. „Ich trug 
ihm äußerste Schonung auf und entließ 
ihn sofort, als ich am anderen Tage das 
Gegentheil vernahm, das Gewebe der Bos 
heit und Rachsucht durchschaute, das er um 
Sie und Ihr Töchterlein gesponnen hätte." 
„Herr Doctor, senden Sie meinem guten 
Alten ja genau an jedem ersten eines Monats 
die Pension, sonst fälscht er mir noch die 
Wirtschaftsbücher, wenn in unserem Dorfe 
Hofball ist," lachte Holzer. „Du, Moser, 
weißt du schon, wer eigentlich der Cassen- 
dieb und der Buchfälscher gewesen ist? — 
Es haben nämlich zwei zusammengeholfen." 
„Ich mag jetzt, in der seligsten Stunde 
meines Lebens, nicht an die schlechten Kerle 
denken," antwortete Moser abwehrend. 
„Ein schönes Compliment für mich und 
Herrn Doctor Fernau," lachte Holzer; 
„denn wir zwei haben das Deficit auf dem 
Gewissen." 
„Jawohl", fiel Fernau ein, einen Brief 
aus der Tasche ziehend, „die Geschichte kam 
nämlich so: Herr Holzer sandte mit diesem 
Briefe hier siebzig Gulden ein; Sie buchten 
nur fünfzig als Zahlung, die ich bei der 
Cassenprüfung vorfand, während mir Fuchs 
betheuerte, dass Sie die fehlenden zwanzig 
Gulden hastig in die Tasche gesteckt hätten." 
„Jetzt geht mir ein Licht auf," fiel 
Moser ein. 
„Es ist auch hier auf dem Lande viel 
lichter als in der düsteren Stadt," fuhr 
Fernau fort, auf den Brief weisend; „hätte 
Herr Holzer nicht übersehen, hieher das 
kleine Wörtchen „verte“ oder ein „W. S. 
g. u." zu setzen, so hätte auch ich in meiner 
von Fuchs verursachten Aufregung nicht 
übersehen, das Briefblatt umzuwenden und 
dort weiter zu lesen, was Herr Holzer als 
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