Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1899 (1899)

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„Stern im Meere, Mutter der Gnade, 
geleite du mein Bild glücklich in den Hafen, ans 
Ziel. Dir, nur dir soll Ruhm und Ehre sein!" 
So betete der Künstler, als er in der 
nächsten Kirche vorm Madonnenbild kniete. 
Ohne Menschenfurcht betete er den Rosen 
kranz, den die Menge betete, mit. Im Lichter 
schein strahlte das Muttergottesbild am 
Hochaltar. Die Augen der Himmlisch-Reinen 
schauten milde hernieder auf die Beter, 
die Hände waren ausgebreitet, alle zu 
umarmen und ans Herz zu schließen. Das 
stumme Bild sprach soviel und zu allen 
sprach es das gleiche, süße Mutterwort: 
— Ihr sollt alle meine Kinder sein! — 
Und doch sprach der milde Muttermund 
Mariens zu einem etwas ganz besonders, 
zum Künstler: 
„Deine Bitte soll erhört sein! Du hast 
gefleht, ich soll dem spottenden Manne meine 
Gnade geben und ihn an mein Herz ziehen. 
Auch er soll mein Kind werden und mein 
Herz sein Mutterherz nennen." 
Dabei schienen die Augen doppelt lieblich 
zu strahlen und die Arme schienen sich weiter 
zu öffnen: Wir grüßen dich, süße Mutter 
der Barmherzigkeit! 
Weißt du, wer der Künstler gewesen? 
Nein! du wirst seinen Namen kaum je gehört 
haben. Und doch kannst du ihn wissen. Ir 
gar manchem stolzen Gotteshaus steht ein 
herrlich anmuthend Bildnis, das seine Meister 
hand geschaffen und von solchen Bildern hast 
du vielleicht das tausendste Bild in der Hand 
gehabt. Und sollte dir sein Kunstwerk auch un 
bekannt sein, so verdient es ein braver, edler 
Künstler, der sein Lebtag seine Kunst in den 
Dienst der heiligen Religion gestellt, dass 
tausende seinen Namen wissen und erfahren 
und sich freuen, diesen Namen zu kennen. 
Der edle Meister heißt Achtermann 
und war ein wackerer Westphale, also ein 
Landsmann des großen Dichters Fr. W. 
Weber, der die wunderschöne Dichtung 
„Dreizehnlinden" niedergeschrieben, ein Werk, 
das in Deutschland draußen der einfache 
Bauer und Arbeiter seinen Kindern am Sonn 
tag vorliest und hochhält wie den „Goffine". 
Dieser Künstler Achtermann ist ein 
ganz einfacher Bauernbursche gewesen, der 
sollte sich als solcher das Brot verdient hat. 
Er hatte aber eine gar geschickte Hand und 
schnitzte und vollendete manch' wertvolles 
Stück Arbeit. Anfangs wollte sein Vater 
zwar nicht, dass sich sein Sohn einem andern 
Stand widmen sollte, aber schließlich gab 
er doch nach und ließ ihm die nothwendigste 
Ausbildung in der Bildhauerkunst zukommen. 
Das Talent bewährte sich. Der junge Mann 
zog nach Italien, wo die Kunst daheim ist, 
sah dort die großen, herrlichen Kirchen und 
Meisterwerke und wurde ein ganzer Künstler. 
Schon seine ersten Werke fanden allgemeine 
Bewunderung. Eines seiner ersten großen 
Werke ist das Muttergottesbild, von dem 
ich dir schon anfangs erzählt, die Pieta, 
die der Künstler dem gottlosen Capitän zur 
Fracht übergeben hatte. 
Während das Frachtschiff seinen Weg durch 
das weite Meer machte, in zahlreiche Häfen 
einlief und Waren ablieferte, zog es der 
Künstler vor, zu Land den Weg nach Amster 
dam in Holland zu machen, denn dies war 
die Station, wo das Schiff einlaufen 
sollte. Der Weg zu Land war natürlich viel 
näher, so dass Achtermann schon einige Tage 
früher in Amsterdam ankam, bevor das 
Schiff einlief. Der Tag kam, an dem der 
Segler erwartet wurde, aber es kam an 
seinerstatt die Nachricht, die drei Schiffe 
seien Opfer eines Seesturmes geworden. 
Den Schrecken, der den Künstler erfasste, 
kann man sich denken. Sollte ja doch sein 
schönstes Werk für ihn auf immer verloren 
gegangen sein. Bald darauf kam eine zweite 
Nachricht: Zwei Schiffe seien untergegangen, 
eines sei verschollen. Ein Hoffnungsstrahl kam 
in das Herz des Künstlers. Vielleicht ist doch 
noch Rettung m öglich, vielleichtist doch nicht das 
von ihm erwartete Schiff zugrunde gegangen. 
Der Künstler nahm seine Zuflucht zu 
der milden Himmelskönigin: 
„Dir, liebe Mutter, habe ich das Werk 
anvertraut, nur zu deiner Ehre habe ich es 
geschaffen. Führe es wohlbehalten in den 
Hafen, Stern des Meeres." 
Und dann gedachte er auch des Spötters: 
„Mutter der Barmherzigkeit, lasse wenig 
stens den Armen nicht zugrunde gehen. 
Rette ihn!" 
So betete er und als er in kindlichem 
Vertrauen die Gottesmutter bestürmte, kam
	        
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