Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1899 (1899)

Will, der MeereKcii. 
Erzählung von elnton Sichler. 
Kasten über das Meer geführt." 
«Und die Klammern halten doch gut", 
drang neuerdings der junge Mann in den 
Capitän. 
„Freilich hält alles, es kommt nichts ins 
Rollen", war die Antwort, die der Gefragte 
mürrisch gab. 
„In der Kiste dürften Goldklumpen 
drinnen sein", spottete er weiter, „so ängstlich 
geht Ihr mit dem Kasten um. Wegen eines 
Marmorblockes . . . ." 
„Wenn Sie aber wüssten, wie ich mit 
ganzer Seele an dem hänge, was ich Ihrer 
Obhut übergeben ..." 
„Es ist ja doch nur ein Marmorblock, 
mehr wurde wenigstens bei Uebernahme der 
Ladung nicht angegeben." 
„Es ist meine erste, große Arbeit, ein 
Marmorbild." 
„Was stellt es vor . . .?" 
„Es ist eine Pieta." 
„Eine Pieta?" 
„Ja, das Bild der schmerzreichen Gottes 
mutter Maria." Das Wort des Künstlers 
klang begeistert, er sprach es mit einem 
gewissen Stolze aus. 
„Dummheit, Aberglaube! Muttergottes 
Maria. Diesen Unsinn haben wir Prote 
stanten längst abgeworfen. Gottlob — das 
war Ihr Glü ck — dass Sie es nicht früher 
or ungefähr vierzig Jahren lagen im Hafen von 
Livorno, einer der bedeutendsten Hafenstädte 
Italiens, drei Lastschiffe zur Abfahrt gerüstet. 
Auf einem derselben stand vor einem riesigen 
Holzkasten ein junger Mann. Immer wieder 
besichtigte derselbe den Kasten, untersuchend, ob 
der Inhalt doch sicher geborgen sei. 
„Es ist also alles sicher", fragte er dann den 
Capitän, der in seiner Nähe stand, mit ängstlicher 
Stimme. 
„Freilich", gab dieser, fast geärgert durch die 
Frage, zutück. „Ich habe schon öfters so einen 
gesagt haben. Dieses Zeug wäre nicht auf 
mein Schiff gekommen." 
So konnte nur der Fanatismus des 
protestantischen Holländers sprechen. Doch 
er gab sich mit dem nicht zufrieden und 
fuhr fort, in höhnischen- Worten über die 
Marienverehrung, diese Götzenanbeterei — 
wie er es nannte, sich lustig zu machen. 
In entschiedenen Worten widerlegte der 
Künstler den Capitän, doch dieser hörte nicht 
auf, über Maria zu spotten. Schließlich 
verwies er ihn vom Schiffe, auf dem sonst 
alle bis zur Abfahrt ungehindert weilen 
konnten, welche dem Schiffe Frachten über 
geben hatten. Der Künstler verließ das 
Schiff und fuhr mit einem Segler ans Ufer. 
Dort wartete er, bis die Kanonenschüsse er 
schollen und die drei Frachtschiffe den Hafen 
verließen. Immer wieder gieng der Blick 
des Künstlers nach dem großen Segler, der 
die Fluten mit mächtigem Kiel durchfurchte, 
immer wieder suchte das Auge sein liebes 
Kleinod, das sich an einer erhöhten Stelle 
des Verdeckes befand und demnach von der 
Ferne erblickt werden konnte. Allmählich 
wurden die Schiffe dem Auge immer kleiner 
und kleiner, bis sie ihm endlich entschwanden. 
Dort, wo sie verschwunden, stieg überm 
fernsten Horizont des Meeres der Abendstern 
empor, ein letzter Gruß der Gottesmutter 
an ihren Künstler und Verehrer.
	        
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