Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1898 (1898)

(126) 
nur durch eine dünne Wand getrennt 
ist von einem Zimmer, das einen Klimper 
kasten und ein daran mondansingendes 
Fräulein beherbergt; wenn Du gerade so in 
die Welt der Träume hinüberlullen willst, 
halb noch Deiner bewusst, halb unbewusst, 
da erklingt es durch die Nacht: „Guter 
Mond, Du gehst so stille ..." Einen 
Ruck gibt es Dir — nicht wahr, Du be 
greifst jetzt den Aerger Muckl's? Ich hatte 
ebenfalls Mitleid mit Muckl und wollte 
ihm Gelegenheit zur Rache verschaffen. Ich 
ließ ihn ohne vorausgegangene Meldung 
beim Sänger im ersten Stock eintreten. 
Hans machte ein verblüfftes Gesicht, als 
aber Muckl gravitätisch und mit zürnender 
Miene auf ihn zutrat, da roch er den Braten 
und flüchtete sich in eine Ecke seines Salons. 
Doch Muckl langsam hinter ihm her! Jetzt 
breitete er seine Flügel aus, und schon 
glaubte ich, er werde sich auf den erschrockenen 
in der Ecke kauernden Hans stürzen, als er 
sich plötzlich besann, die Flügel langsam 
senkte und einen unsäglich verächtlichen Blick 
auf die Jammergestalt des Sängers warf; 
dann verließ er majestätisch das Zimmer 
seines mit stiller Verachtung gestraften 
Feindes und zog sich in seine Gemächer zur 
ebenen Erde zurück. Das war edel von Muckl, 
ich bewunderte ihn. Kaum war die Thüre 
zu, kam Hans hervor aus seiner Ecke und 
pfiff lustig weiter, wo er bei Muckl's Eintritt 
steckengeblieben. Der schüttelte unten sein 
Haupt und schien zu sagen: „Der Kerl hat 
keinen Kreuzer ein Ehrgefühl!" Zum Trost 
verehrte ich ihm einen Mehlwurm, den er 
mit Genugthuung in Empfang nahm. Ueber- 
haupt, mit Mehlwürmern ist bei Muckl 
alles zu erreichen, wie beim Hans mit 
Gugelhupf. Denn verschieden, wie die 
Temperamente, ist auch die Nahrung der 
beiden. Das Gemeinsame ist nur das Wasser, 
das Muckl in langen, verständigen Zügen 
trinkt, während Haus sich in demselben 
badet und netzt. Hat er sich aber erfrischt 
und gestärkt in wohlthuendem Bade, dann 
gibt er seine Bravourarien zum besten, bei 
deren Erklingen selbst Muckl manchmal 
träumerisch das Haupt hebt. 
Einmal jedoch kam er in eine ganz ver 
derbte Geschmacksrichtung hinein. Aus dem 
Baume vor dem Fenster, in dessen Nische 
beider Zinshaus steht, hatte sich ein Finken 
paar häuslich niedergelassen, und sei es, dass 
Hansen Plötzlich eine unglückliche Liebe zur 
Finkenfrau erfasste und er in ihrer Sprache 
um Gegenliebe werben wollte, sei es, dass 
ihm des Finken Kunstrichtung besser gefiel, 
er pfiff tagelang nichts mehr, als den ein 
tönigen Finkenruf. Und das mit einer Aus 
dauer, dass ich mich gezwungen sah, die 
Situation des Hauses zu verändern, wollte 
ich nicht mir selber und Muckl unheilbares 
Kopfweh heranziehen. Hans war wohl einen 
halben Tag nach der Versetzung trübe ge 
stimmt, aber sein Leichtsinn gewann bald 
wieder die Oberhand, und bald trillerte er 
wieder eines seiner Schönsten wie früher. 
Muckl und ich geben ihn jetzt ganz und gar 
auf; ernsterer Lebensauffassung ist Hans 
nicht fähig. 
Da ist Muckl ganz anders. Bedächtig 
sind seine Bewegungen, schweigsam ist seine 
Zunge und tiefsinnig sein Blick. Ich sehe 
es ihm von außen an, wie oft schwierige 
Probleme sein Gehirn beschäftigen, wenn er 
einen Fuß in die Höhe zieht, gleichwie scharfe 
Denker den Finger an die Stirne legen, 
wenn es hinter derselben nicht recht phos 
phorescieren will. Es kann sich dann er 
eignen, dass Muckl zerstreut, wie viele Ge 
lehrte, vergisst, seinen eingezogenen Fuß 
wieder auszustrecken, und er beim nächsten 
Schritt, denn er vorwärts machen will, auf 
die Nase fällt. So lebt der Muckl ein würde 
volles, ernstes Leben dahin, ruhig den Ernst 
der Zeit erwägend und seinen Beruf als 
Philosoph in stiller Klause treulich erfüllend, 
während ich überzeugt bin, dass der lieder 
liche Bruder Hans gar nicht weiß, wozu er 
auf der Welt ist, und in seiner Leichtlebigkeit 
nie an Berufsthätigkeit und nützliches Me 
ditieren denkt. 
Den streng conservativen Sinn Muckl's, 
infolgedessen er immer genau auf derselben 
Stelle des Sprossens sitzt, und ihn täglich 
zur selben Stunde verlässt, um sein Lager 
aufzusuchen, nennt Hans Pedanterie und 
Philisterhaftigkeit, weil ihm eben der Sinn 
für Ordnung mangelt. Nicht umsonst und 
nach scharfem Calculieren hat Muckl seine 
Tagesordnung festgesetzt, die er nun pünktlich
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.