Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1898 (1898)

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inneren Macht gezogen, sie sprengte Weih 
wasser über den schlummernden Knaben und 
sprach: „Möge dich dein heiliger Engel 
schirmen". Dann eilte sie fort, die Gassen 
hinauf wohin? Sie gieng nur 
der einen führenden Hand nach, die sie vor 
sich zu sehen glaubte, der treuen Mutter 
gotteshand .... 
Der Pfarrer war ein alter, guter Herr. 
Seine Pfarrkinder liebten ihn wie einen 
Vater. Kein Kind war ihm zu gering als 
dass er es nicht angesprochen hätte. Vor 
ihn trat Frieda hin und klagte ihm, was 
sie drückte. Er sprach milde zu ihr, tröstete 
sie und sagte: 
„Gute Frau, wenn ich gewusst hätte 
von ihrem Elende, ich wäre längst schon ge 
kommen. Doch hier nehmen sie diese Summe 
und begleichen Sie die Schuld. Für das 
andere werde ich sorgen". 
Frieda kniete vor dem Priester nieder 
und küsste dessen Hand. Er sah empor zum 
Himmel und dann mild in ihr Antlitz und 
sagte warm: 
„Nicht ich habe ihnen geholfen, die 
Muttergottes hat geholfen"! — 
Frieda hatte den Pfarrhof verlassen, wie 
betäubt vor Freude und Ueberraschung stand 
sie einen Augenblick still da, was ihr Herz 
sann und dachte, war ein inniger Segens 
wunsch für den edlen Gönner. Dann eilte 
sie heim: das Kind schlummerte noch wie 
zuvor, obwohl sie leicht eine halbe Stunde 
fortgewesen. Der heilige Engel hatte schirmend 
ob ihm gewacht und seinen Schlummer ge 
hütet. Die Mutter fühlte es, dass der 
Himmel sie geleitet und dass all' das Unglück 
und der Schmerz nur Fügungen des besten 
Vaters waren. 
Wie staunte der Hausherr, als die 
Schuldnerin ihre Anleihe zurückzahlte! Er 
drang in sie, von wem sie das Geld so 
plötzlich erhalten habe. Als er erfuhr, dass 
der Pfarrer selbst sich der Armen ange 
nommen, schämte er sich und suchte seine 
That zu beschönigen. Er musste es Frieda 
gestatten, auch fernerhin mit dem Kinde in 
seinem Hause zu wohnen, er hätte das 
strafende Wort des Pfarrers doch gefürchtet. 
Abends kam der Arzt und sprach sich 
günstig über den Zustand des Knaben aus. 
Der lange Schlaf hatte wohlthuend auf ihn 
eingewirkt. Vom Pfarrhof kam eine Dienerin, 
Frieda im Krankendienst abzulösen, der Herr 
Pfarrer habe es so gewünscht. Die Glück 
liche nahm die Dienstleistung freundlich an 
und benützte die erste freie Stunde zum 
Besuche der Maiandacht in der Pfarrkirche. 
Der Altar strahlte in tausend Lichtern, im 
weißblauen Gewände steht die Maienkönigin 
da droben. Wie sie so mild herniederschaut 
auf alle, auf das Marienkind Frieda . . . 
Diese kniet und betet so kindlich und 
innig: Betet sie für ein Kind, dass es 
wieder gesunde? — Der Himmel hört ihr 
flehen —, ihre Bitten gedenken des Einen, 
der fern und verlassen und friedenslos: Sie 
fleht nicht umsonst zur Maienkönigin. 
Still giengen die Sterne durch die weiche 
Nacht hin, tausend Lichtflammen, die der 
Himmel der Maienkönigin als letzten Gruß 
bereitet im schönen Mai. — 
IV. 
Frieden. 
Schwerverwundet liegt Karl Lehmann 
im Spital. Stundenlang hält tiefe Ohnmacht 
ihn gefesselt, dann wacht er auf, doch die 
Schwäche gestattet es ihm kaum zu sprechen. 
Nur mit größter Mühe kann er sich ein wenig 
bewegen. Seine Züge sind bleich und fahl, 
ein Theil des Kopfes ist mit Linnen um 
wunden. Gegen Abend kommt der Spital 
pfarrer Felix Weber. Er sieht den erbärm 
lichen Zustand, spricht mit dem Kranken, 
der sich jedoch abzuwenden sucht. Der Priester 
kommt wieder am nächsten Tage und er 
muntert den Patienten, die heiligen Sacra- 
mente zu empfangen. Eine verneinende Kopf 
bewegung ist die Antwort. Pfarrer Weber 
weiß es nun, dass er einen vor sich hat, 
der der Gnade des Himmels bedarf. Er 
verzagt nicht. Ohne dass es Karl bemerken 
konnte, legte der Priester eine Muttergottes- 
Medaille unter dessen Kopfkissen. Am nächsten 
Tag kam er wieder. Im Befinden des 
Kranken war eine kleine Besserung einge 
treten. Der Priester hatte ein Teller frischer 
Erdbeeren mitgebracht, die er Karl mit der 
Hand zum Genießen hinreichte. Vom Em 
pfange der Sakramente wird nicht mehr ge 
sprochen ; Weber berichtet dem Kranken, dass
	        
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