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■-V.
So giengert Monate vorüber. Doctor
Lehmann gieng zu seinen Patienten. Freilich
klagte man dort und da über unwirsche
Behandlung und Oberflächlichkeit, besonders
Armen gegenüber.
Immer tiefer weihte Arthur seinen Freund
ein in die Geheimnisse seines Gelderwerbes,
ihm schließlich zu gestehen, den Großtheil
seines Vermögens habe er nicht durch ge
wöhnlichen Lottogewinn, sondern durch die
Börse erworben. Karl ward blass, als er
dies hörte. Er schauderte zurück vor Arthur,
denn er fürchtete die Börse, als den Jahr
markt, auf dem an einem Tage tausende von
Menschen zugrunde gehen auf Kosten einiger
anderer. Karl schauderte nicht so sehr vor
der Ungerechtigkeit als vielmehr vor der
Gefährlichkeit des Börsenspieles zurück. Doch
Arthur verstand es, jedes Bedenken besonders
in Berufung auf die bisherigen Erfolge zu
verwischen, er rechtfertigte sogar das Börsen
spiel an sich, indem er es eine Kunst nannte,
deren Erlernung und Uebung doch niemand
verwehrt sein könne — ja, sollte der Fall
eines Börsensturzes eintreten, so werde
Lehmann stets in Silberstein einen Helfer
und Retter finden. Karl willigte schließlich
ein und stellte eine Summe zur Verfügung.
Fortuna war hold und das Vermögen
Doctor Lehmanns hatte sich an einem Tage
verdreifacht.
Der Erwerb um Geld hatte die ver
derblichsten Wirkungen auf den Charakter
Karls ausgeübt. Ein Kirchenbesuch an den
Sonntagen wurde immer seltener, es kam
immer wieder die eine Entschuldigung, er
sei ja bereits durch den Krankenbesuch zur
Uebergenüge beansprucht, zuweilen wurde
eine diesbezügliche Bitte Friedas durch einen
leichten Spott bestraft — mit Karl gieng
es abwärts von Stufe zu Stufe.
Die Summen wuchsen und wuchsen, die
Lehmann an Silberstein bewilligte, namentlich
als dieser eine besonders günstige Speculation
ihm vorspiegelte. Das Vermögen des Doctors
war durch die fortwährenden Börsengeschäfte
wohl zu jener Höhe gestiegen, um den ärzt
lichen Beruf aufgeben zu können, doch dies
genügte dem Goldgierigen nicht: Er wollte
nicht nur angenehm leben, er wollte glänzen.
Und so kam es, dass Karl auf neuerliche,
gesteigerte Aufforderung Silbersteins alles
bewilligte, an einen Misserfolg glaubte er
nicht, zudem hatte Arthur im Nothfalle
bereitwillig Hilfe zugesagt.
Arthur war in die Residenzstadt abgereist,
persönlich die Speculation zu leiten. Der
Tag kam, der die Zukunft bringen sollte.
In Fieberhaft wartete Doctor Lehmann auf
das Telegramm, es kam nicht. Erst gegen
Abend lief die Nachricht ein:
„Alles verloren. Meinerseits Hilfe un
möglich, weil selbst ruiniert. Arthur/'
Karl sank in den Lehnstuhl, als er das
Blatt durchflogen. Starr blickten seine Augen
in das Blatt hinein, doch nur die eine
fürchterliche Nachricht grinste ihn an. Er
kleidete sich an, nahm, was er noch in seinem
Besitz fand, zu sich und verließ sein Heim. —
Frieda hatte von all dem keine Ahnung.
Sie wusste nicht, dass Karl fortgegangen,
und als sie dessen Zimmer leer fand, meinte
sie, er habe sich entfernt, in die Abend
gesellschaft zu gehen.
Es war Samstag abends, als dies alles
geschah. Im Wohnzimmer brannte, wie dies
an Samstagabenden vielfach frommer Brauch,
vor dem Bilde der Gottesmutter „das ewige
Licht." Frieda kniete neben dem kleinen
Karl, der die Händchen so innig faltete und
kindlich aufblickte zum Madounenbild, als
ob er wüsste von des Vaters Geschick. . .
Mutter und Kind beteten langsam mit
einander das „Vaterunser" und das „Ave
Maria!"
Im Auge Friedas lag eine Thräne, als
sie beteten:
„Herr, führe uns nicht in Versuchung!"
II.
Von Stufe ju Stufe.
Was sollte Doctor Lehmanns Zukunft
sein? Sollte er hintreten vor Frieda und
ihr erzählen, dass er sie und sein Kind und
beider Zukunft vernichtet, hintreten vor beide
wie ein Bettler? Hätte Frieda ein Wort
des Vorwurfes, der Klage gehabt für seine
That? Nein! Sie hätte ihm wie stets so
warm in sein Herz gesprochen, und so gut
ins Auge geblickt und nur die eine Bitte
gehabt: Karl, sei wieder der gleiche, wie
du einst gewesen, da ich dir die Hand gegeben!