Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1898 (1898)

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noch jugendlichen Besuchers verrieth ein 
falsches Herz, der wirre, unbeständige Blick 
war die Sprache eines haltlosen, unehrlichen 
Charakters. Doctor Lehmann erwies diesem 
Besucher gegenüber sich besonders freundlich, 
Frieda zitterte für Karl, so oft sie ihn in 
der Nähe des Verdächtigen wusste. 
„Wer ist dieser Herr", frug Frieda, als 
Karl den Gast die Stiegen hinabgeleitet 
hatte, „Karl, wer ist es?" 
„Baron Silberstein ist sein Name. Er 
ist ein heiterer, intelligenter Kopf." 
„Du scheinst ihm gut Freund zu sein, 
Lieber?" 
„Ja, Frieda, mich spricht sein Be 
nehmen an." 
„Karl, ich fürchte für dich, Baron Silber 
stein scheint mir ein falscher Mensch zu sein, 
denn er hat einen falschen Blick. Hüte dich, 
Karl!" 
Frieda hatte Karls Hand erfasst und 
sah bittend zu ihm auf. Karl schien verlegen. 
Eine seltene Nöthe lagerte über seinen 
Wangen. Frieda bat inniger. Lehmann sah 
erregt vor sich hin. Er löste seine Hand 
aus der Friedas. 
„Weibergebettel", war sein halblautes 
Wort, als er das Zimmer verließ und in 
den Salon trat. 
Abends gieng Karl wieder in die Gesell 
schaft, Frieda wachte, betete und weinte. 
Ja, Frieda hatte der Ursache genug, für 
ihren Gatten zu beten. Trügerischer Schein 
hatte ihn in ein Netz gelockt, das ihn nicht 
sobald wieder freigeben sollte. Ein Berufs 
college hatte Karl in die Gesellschaft ein 
geführt, die seinen Fall herbeiführen sollte. 
Im Hotel N. kam fast täglich zusammen, 
was sich da mit so besonderer Vorliebe „In 
telligenz" zu nennen liebte. Es waren meist 
jüngere Leute. Karl gefiel es. Der gute Ton 
sagte ihm zu, in den sich der Spott über 
religiöse Dinge klug zu bergen verstand. 
Ja, man war vorsichtig genug, in den ersten 
Wochen jede unanständige Bemerkung aus dem 
Gespräche zu bannen, man sprach über Gleich- 
gütiges, über Tagesnenigkeiten. Warum soll 
ich nicht auch ein wenig mich bekannt machen, 
war der Gedanke Karls. Und Karl kam, 
immer wieder kam er, er hatte ja nichts zu 
befürchten. 
Und dennoch träufelte allmählich jeder 
Abend seinen Gifttropfen in das Herz des 
Arglosen, ganz langsam, fast ohne dass er 
selbst es merkte, wandelte sich Karls Gemüth, 
seine Gedanken wurden freier, sein Urtheil 
über sich milder, er entschuldigte, was sich 
zuweilen als Gedanke ins Herz schlich und 
so gieng es langsam abwärts — in den 
Abgrund. — 
Bist schon lang genug ein Strohhalm 
spalter gewesen, dachte Karl, wenn er seine 
bisherigen Anschauungen mit denen seiner 
Tischgefährten verglich. Wozu bist du ein 
freier Mann? Man kann ja immer noch 
der beste Kerl sein, ohne dass man deshalb 
immer hinterm Ofen und in der Kirche 
hockt. . . . 
Der Sprecher hatte seine Gedanken halb 
laut vor sich hingelispelt, als eine elegant 
gekleidete, hagere Gestalt auf seine Schulter 
klopfte und ihn ansprach: 
„Das sind einmal Gedanken, die eines 
freien Mannes würdig sind . . ." 
Und dennoch war Karl verlegen, dass 
man seinen Gedankenausdruck vernommen. 
Er gab dem Collegen die Hand, beide ließen 
sich auf einer der Bänke nieder, 
„Grüß dich Gott, lieber Silberstein. 
Schon lange hatte ich keine Gelegenheit mehr, 
ein wenig mich auszuathmen. Dies Plätzchen 
suche ich immer wieder gerne auf, denn hier 
schaut man so frei in die Welt, auf einige 
Augenblicke ledig aller Bande, um dann 
wieder in die alte Prosa der Berufsgeschäfte 
zurückzukehren." 
Hatte jemals solch ein Wort sich über 
die Lippen Karls den Weg gebahnt? Sprach 
nicht aus ihm ein Widerwillen gegen seinen 
Beruf? War dieser Karl noch der ganze 
Sohn seines unermüdlichen, seligen Vaters? 
„Ja, Freundchen, da blüht mir ein 
ganz anderes Leben. Was weiß ich von 
Bernfsbeschwerden! Bei mir geht ein Tag wie 
der andere sorgenfreiund lebenslustig vorüber." 
Der Baron schilderte in lebhaften Worten 
sein Tagein-Tagaus, sein Tagewerk von früh 
morgens bis spät abends und fand der Worte 
fast nicht genug, in die er seine Gedanken 
kleiden sollte. Karl lauschte. Ernst sah er 
hinaus in das weite Thal, das die duft 
blauen Berge umrahmten, das so schön
	        
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