Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1898 (1898)

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Kaiser zukommen, denn er allein kann helfen 
und mir meinen Seppl zurückgeben, der in 
Wien als Soldat dient; er ist meine einzige 
Stütze im armen Leben, mein Trost im Alter, 
mein einziges Kind. Ich werde Gott mit 
aufgehobenen Händen bitten, dass er das 
Vaterland vor einem Kriege bewahrt und 
der Kaiser meinen Sohn nicht braucht. Ich 
hoffe auch zu Gott, dass ich in meinen alten 
Tagen den weiten Weg von Knittelfeld in 
Sieiermark bis in die Hofburg zu Wien, 
zum Herzen des gütigen Kaisers, nicht um 
sonst gemacht habe." Der Kaiser sagte der 
Bittstellerin, sie möge im Vorsaale warten, 
da er inzwischen das Gesuch an die richtige 
Stelle befördern wolle. Hierauf winkte er 
einem Diener, der die Greisin nach dem Vor 
saale geleiten musste. Auf einer Bank sitzend, 
harrte sie eine Viertelstunde, ja eine halbe, 
ja eine lange bange Stunde; für das zwischen 
Furcht und Hoffnung schwebende Mutter 
derz eine Ewigkeit. Schon wollte sie einen 
Trabanten fragen, ob denn der Officier 
wirklich der richtige Mann sei, der ein Ge 
such an den Kaiser gelangen lassen könne, 
als sich die Eingangsthür öffnete und ein 
Soldat auf die Greisin zutrat. Ueberrascht 
schaute diese auf; es war nur ein einziger 
Blick, aber das Mutterauge sieht scharf. 
„Mein Sohn, mein lieber Sepp," rief 
die Greisin mit bebender Lippe und lag an 
der Brust des Soldaten. Lange konnten Beide 
von Küssen und Umarmungen nicht zu Worte 
kommen. Endlich vermochte die Mutter die 
Frage hervorzubringen: 
„Woher kommst du?" 
„Aus der Kaserne," antwortete der Sohn. 
„Hast du Urlaub bekommen, auf wie 
lange?" 
„Auf immer, da ist mein Militärabschied 
und da bin ich selbst. Wenn es dir recht ist, 
können wir gleich heimgehen. Seine Majestät, 
unser Kaiser, hat mich selbst hieher befohlen, 
damit du auch die Botschaft sicher bekommst; 
vor einer Stunde hat ja der gute Kaiser 
selbst mit dir auf der Stiege gesprochen, wie 
mir ein Burggendarm erzählte." 
Eine Stunde später fuhren Mutter und 
Sohn der grünen Steiermark, der geliebten 
Heimat zu. 
Die Lippen der Greisin beteten: 
„Ich habe den weiten Weg nicht umsonst 
gemacht; schenke, guter Gott, unserem Kaiser 
deine Gnad' auf seinem Lebensweg und schütze 
sein Reich vor Feindesnoth und Kriegsge 
fahr." 
VI. 
Der Pfarrer von Ebnit. 
Der Pfarrer vom Dörfchen Ebnit in 
Vorarlberg erduldete still und ergeben sein 
Unglück, das ihn mit vollständiger Erblindung 
seiner Augen getroffen hatte. Als aber der 
Kaiser Franz Josef I. im August 1881 
das Land Vorarlberg besuchte, da fühlte 
der Pfarrer sein Unglück doppelt schwer. 
Von den Alpenhöhen stiegen die Sennen 
und Hirten herab, aus den Thälern zogen 
sie in Scharen herbei, um den geliebten 
Kaiser zu sehen und zu begrüßen. Alles 
war in Festtagsstimmung und alle konnten 
sie den Kaiser sehen, nur der blinde Pfarrer 
von Ebnit nicht. Den Anblick der goldenen 
Sonne und der silbernen Sterne, der blauen 
Berge und der grünen Wälder mit Ergeben 
heit zu entbehren, war er längst gewohnt, 
aber seinen Kaiser nicht von Angesicht zu 
Angesicht sehen zu können, war ihm ein 
schmerzlicher Verzicht. Konnte er den geliebten 
Monarchen nicht sehen, so wollte' er ihn 
doch hören. Sein Ministrant musste ihm 
dazu helfen und ihn den Weg zum Glücke leiten. 
„Stöffele," sagte der blinde Pfarrer, 
„führe mich hinab nach Schwarzach, dort 
will ich meinen Kaiser hören. Du stellst 
mich ganz vorne an, zupfst mich am Talar, 
wenn der edle Herr an mir vorbeikommt. 
Er soll hören, dass der alte Pfarrer von 
Ebnit zwei schlechte Augen aber eine gute 
Brust hat, aus der ich ein „Lebe hoch" 
herausschreien werde, ein „Vivat," das in 
unserem ganzen Bregenzerwald wiederhallt 
und in den Schweizerbergen drüben sein 
Echo sindet." Und der Ministrant nahm 
seinen blinden Pfarrer an der Hand und 
leitete ihn von der Bergeshöh' zu Thale 
nach Schwarzach. Dort harrten schon Tausende 
der Ankunft des Kaisers. Der Ministrant 
von Ebnit bahnte für den Blinden einen 
Weg durch die Menge und stellte den geist 
lichen Herrn, der in weiter Runde bekannt 
war, vorne an. Wenige Minuten später 
kam Kaiser Franz Josef I. heran, das
	        
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